Weißte Bescheid (2. Dezember 2025)
Ich bin heute mit dem Gedanken aufgewacht, dass die Menschen viel Zeit damit verbringen, anderen Menschen zu erklären, dass sie Bescheid wissen. Einen Bescheid kriegt man ja gelegentlich auch per Post von Behörden. Beim Rentenbescheid bekommt man Bescheid gesagt, wie wenig Rente man bekommen wird, obwohl man vielleicht das Gefühl hat, viel und lange eingezahlt zu haben; aber der offizielle Bescheid sagt einem Bescheid, dass das nicht so ist. Wenn ich diesen Bescheid bekomme, ahne ich jedesmal, dass ich wegen dem Bescheid ein sehr bescheidenes Leben führen werde, wenn ich mal alt bin, nicht mehr Sachen durch die Gegend tragen und auftreten kann und falls sich die Welt nicht grundlegend ändert. Vielleicht ändert sich allerdings eines Tages der Bescheid und es steht plötzlich drauf: Sie bekommen nulleurozweiundvierzig, das hat unser Programm ausgerechnet. Wer weiß das schon so genau? Jedenfalls, damit so ein Rentenbescheid oder Steuerbescheid erstellt wird, sitzen viele Menschen am Rechner, verdienen ihr Geld damit, anderen Bescheide auszustellen, und wenn sie Feierabend haben, ist das Ergebnis ihrer Arbeit ein Bescheid. Und jetzt gibt es ja KI – wahrscheinlich werden damit auch schon die Bescheide erstellt … Irgendwann ist dann keiner mehr für irgendwas zuständig, nur die KI, weil die muss es ja wissen.Ich schätze mal, dass auch in der Schule bereits viele Lehrkräfte ihre Arbeitsblätter mit KI erstellen und die Schülerinnen und Schüler ihre Hausaufgaben mit KI machen. Am Ende weiß keiner mehr Bescheid, ob das, was die KI sagt, stimmt, und keiner hinterfragt es, aber vielleicht spielt das alles ja gar keine so große Rolle, weil alle dann mehr Zeit haben, sich mit dem zu befassen, was sie wirklich interessiert und was sie aus ihrem Leben machen wollen. Keiner müsste mehr beruflich vorgeben, Bescheid zu wissen, obwohl man in Wirklichkeit keine Ahnung hat …
Aber im Alltag trifft man noch genug Menschen, die Bescheid wissen. Wenn sie „Wie geht’s?“ fragen, beantworten sie die Frage gleich selber, und man weiß Bescheid wie es ihnen geht. Menschen, die Bescheid wissen, geben auch gerne Tipps zu jedem und allem. Das Wort „Bescheid“ leitet sich vom mittelhochdeutschen Verb „bescheiden“ ab, was so viel wie „entscheiden“, „bestimmen“, „an seinen Platz stellen“ oder „belehren“ bedeutete. Ursprünglich konnte ein Richter jemanden „bescheiden“, indem er eine Entscheidung mitteilte. Ich finde es ab und an sehr spannend, Wörter zu analysieren. Zudem gibt es viele wandelnde Lexika unter den Menschen, die sich wirklich gut auskennen und die man zu fast allem befragen kann. Leider gelingt es nicht jedem, damit Geld zu verdienen. Dabei wäre „Wandelndes Lexikon“ als Berufsbezeichnung doch eigentlich sehr schön.
Wenn ich auftrete und mein Geld verdiene, spiele ich, dass ich nicht so genau Bescheid weiß. Als Glucks weiß ich einfach vieles nicht. Gelegentlich kann das, was ich da tue, am Ende doch noch einen Sinn ergeben, aber im Grunde genommen weiß ich nicht Bescheid. Wenn ich einen Walk-Act mache und zum Beispiel im Eingangsbereich stehe, neben lauter wichtigen Menschen, sage ich gelegentlich: „Wenn Sie Fragen haben, fragen Sie nicht mich, ich habe keine Ahnung!“ Manchmal lachen die erwachsenen Menschen dann. Wahrscheinlich weil überall Leute in der Gegend rumstehen oder sitzen, die dafür bezahlt werden, Ahnung zu haben oder so tun, als hätten sie Ahnung. Kinder lachen eher, wenn sie sehen, dass ich nicht Bescheid weiß – so wie heute, als ich bei der „Reise ins Schneeland“ meine Jacke falsch herum angezogen und angeberisch gesagt habe, dass ich Schleifen binden kann, und dabei den linken Schnürsenkel mit dem rechten verbunden habe und das Ergebnis verknotete Schuhe waren. Zugleich wissen natürlich die meisten Kinder, dass das, was ich tue, gespielt ist. Meine Arbeit besteht darin, überzeugend zu spielen – und vor allem immer wieder neu, weil jeder Auftritt anders ist.
Es ist wie eine geheime Verabredung zwischen mir und dem Publikum, die ich mit ihnen ab dem Moment meiner Ankunft schließe: Ich spiele jetzt für euch, lasst uns uns gemeinsam amüsieren! Jeder, der Kindertheater macht, weiß, wie hart es sein kann, wenn sich das Kinderpublikum nicht auf das Spiel einlässt. Manchmal reicht da schon ein einziges Kind, das einfach ständig sagt, dass es alles doof findet. Wenn es einem nicht gelingt, dass es Freude empfinden kann, weil es eben durch „Stören“ Aufmerksamkeit will, die es vermutlich sonst im Leben nicht bekommt, wenn sich dann auch noch kein Erwachsener für dieses Kind zuständig fühlt, ist es wirklich sehr anstrengend. Solche Auftritte gleichen fast schon dem verzweifeltem Versuch, einen todernsten Behördenmenschen, der am Bildschirm klebt und sich nur für fachchinesische Bescheide interessiert, dafür zu begeistern, dass er statt dessen auch den lieben langen Tag mit dem Drehstuhl „Karussell“ spielen könnte und die Menschheit vielleicht sogar mehr davon hätte.
Heute waren die Kinder voll dabei und ziemlich clever. Sie kannten sich bestens aus, und ein etwa vierjähriger Junge kapierte sofort, dass ich auf meiner Seereise an einem Ort gelandet war, wo ich sicherlich keinen Schnee vorfinden würde: „Du bist in Afrika!“ Seine Oma, die eng neben ihm saß, hatte nichts vorgesagt. Auch das kommt gelegentlich vor: Eltern sagen den Kindern, was sie sagen sollen, damit es so wirkt, als wüssten sie Bescheid. Aber heute nicht. Es war eine lustige Vorstellung, und die Kinder beteiligten sich lebhaft an der Geschichte und wurden dann wieder ganz ruhig und aufmerksam. Die Eltern hatten ebenfalls ihren Spaß. Ziel erreicht.
Plötzlich bin ich optimistisch. Vielleicht bin ich deshalb nicht so leicht durch KI ersetzbar, weil ich gar nicht erst damit angefangen habe, mein Geld damit zu verdienen, Bescheid zu wissen oder es zu behaupten? Aber vielleicht auch doch. Ich sehe die Zukunft schon vor mir: „Lustige KI-Clowns zum Geburtstag buchen! Kosten wenig, und jedes Wort ein Witz! Egal wie Sie oder die Kinder drauf sind, der KI-Clown ist immer gut drauf! Kann man bei Bedarf auch ausschalten oder den Stil ändern. Sagt zu allem ja und nie nein!“
Machen Sie auch 27-Stunden-Auftritte? Ja!
Machen Sie auch Ballons? Ja!
Gehen Sie auch in Krankenhäuser? Ja!
Machen Sie auch Glitzertattoos? Ja.
Können Sie auch erst als Clown und dann als Einhorn auftreten, meine Tochter liebt Einhörner? Ja.
Können Sie am Nachmittag was Lustiges für die Kinder spielen und abends ein zweistündiges Unterhaltungsprogramm mit Musik und Kabarett für fünfhundert Erwachsene machen? Ja.
Können Sie sofort alles stehen und liegen lassen und ein Angebot schicken? Ja.
Können Sie Ihr Programm auf zwanzig Minuten kürzen, weil sich die Kinder und Eltern nicht länger konzentrieren können? Ja.
Können Sie auch Kuchen mitbringen und einen Raum organisieren? Ja.
Geht es auch billiger? Ja.
Können Sie in einer Stunde hier sein? Ja.
Nur: wie soll das alles technisch gehen? Keine Ahnung! Na ja, es wird sich schon jemand finden, der da Bescheid weiß. Wie auch immer. Das Ergebnis meiner heutigen Arbeit ist jedenfalls ein lustiger Auftritt und dieser Text. Weißte Bescheid.



