Zettelhexe (27. Oktober 2025)

Heute gab es eine geheime Premiere: Ich bin das erste Mal selber mit meinem neuen Auto zum Auftritt gefahren. Fettes Teil: Automatik! Anhängerkupplung! Metallic-Lackierung! Und unter der Haube: 5,4 Liter – Wischwasser!

Das Auto hat schon viele Kilometer auf dem Buckel, aber weil ich noch nie ein Auto besaß, ist es für mich trotzdem neu. Als langjährige Bahnfahrerin bin ich aus alter Gewohnheit viel zu früh losgefahren. Endlich musste ich nicht vorher überprüfen, ob es gerade Streik gibt, Oberleitungsschäden oder Personalausfall wegen eines vorher verspäteten Zuges, sondern konnte einfach los.

Na ja, Stau kann es natürlich auch geben und: andere Autofahrer. Einige von ihnen wären wohl lieber Rennfahrer geworden! Aber bei mir lief es heute jedenfalls ganz gut. Trotz peitschendem Regen und stürmischen Böen, die die Herbstblätter wild in die Luft schleuderten.

Ich werde in Zukunft beides benutzen: Bahn und Auto. Je nachdem. Aber heute habe ich es mal so genossen. Ein bisschen lustig, dass ich erst jetzt Auto fahre. Für viele Menschen ist das bestimmt ein alter Hut oder um in der Autosprache zu bleiben: Zylinder!

Ich kann übrigens neben Auto-Angebersprache auch eine neue Fremdsprache – habe ich auf der Fahrschule gelernt: Schwäbisch! Mein Lieblingssatz: „Do koanscht nix mocha, woischt, wenn die Zettelhexe kommt!“ Zettelhexe bedeutet Politesse. Wie lustig.

Der Auftritt war allerdings nicht mit einer Hexe, sondern mit Oma. Im Kindergarten. In Maisach. Ich war schon mal im Frühjahr da und jetzt wieder mit dem „Bücherschatz“. Schön war’s! Unser Stück läuft mittlerweile wie auf Schienen. Vor allem im ersten Teil kamen die Kinder aus dem Kichern gar nicht mehr raus, dann verfolgten sie gespannt die Geschichte rund um die Erde herum und darüber hinaus. Bis zum Mond. Hinterher verriet uns ein Mädchen, dass sie auch schon mal auf dem Mond war, aber nicht mit ihrer Oma, sondern ganz alleine!

Auf der Rückfahrt war ich auch alleine ohne Oma unterwegs und habe mich trotz Navi kurz verfahren, war aber zum Glück nicht als Geisterfahrerin in die falsche Richtung unterwegs. Sonst hätte ich mit einem Polizisten diskutieren müssen: „Wie falsche Richtung? Woher wollen sie denn wissen, wo ich hin will?“

Aber an Halloween verkleide ich mich als Zettelhexe! Dann schreibe ich einen Zettel und lege ihn mir selbst in den Briefkasten: „Sänk you for waiting for so many years on Deutsche Bahn!“ Danach schnappe ich mir den Besen, mit dem der Hausmeister das Herbstlaub zusammenfegt, und fliege hoch in die Lüfte. Ich sause mit über 200 PS durch die Weltgeschichte und lande kurz mal in der Gegenwart. Mein Landeplatz ist der Hotelturm in Augsburg. Im nahegelegenem Polizeipräsidium sitzt derweil ein Polizeibeamter auf seinem Bürostuhl, bohrt in der Nase und schaut aus dem Fenster.

Er sieht mich, vermutet ein unbekanntes Flugobjekt und löst gleich mal Drohnenalarm aus! Während ich nichtsahnend zu meinem Vergnügen ein bisschen im Viertel herumfliege und mich freue, dass ich keinen Parkplatz suchen muss.

Aber plötzlich beginnt eine wilde Verfolgungsjagd mit Polizeiwagen, Blaulicht und Martinshorn. Polizeiautos rasen hinter mir her. Ich sehe von oben, dass die Rettungsgasse kein bisschen klappt und die Polizisten verzweifelt im Verkehr stecken bleiben.

Nur ein paar Kinder erkennen, dass ich keine Drohne oder drohende Gefahr, sondern eine Hexe bin, und so fliege ich kurz langsamer und winke ihnen zu.

Kurz bevor die Polizei einen Hubschrauber ordern will, um mich aus der Luft zu fischen, hexe ich eine Entwarnung an alle Zeitungen und lauter gute Nachrichten in die gesamte weite Welt. Diese verbreiten sich auf der digitalen Internetschnellstraße wie ein Lauffeuer in Küchen, Klos, Kinderzimmer, Keller, Wohnzimmer, Schlafzimmer und Gehirne der Menschen. Alle sind froh, endlich mal keine Gruselgeschichten zu lesen und zu hören. Nervenbahnen und Gedanken beruhigen sich wie bei einem Waldspaziergang, und die Leute haben plötzlich Lust, wie Landstreicher neue geistige Landstriche zu erkunden. Und endlich kann sich die Menschheit mal auf friedliche Zeiten umstellen und nicht nur aus alter Gewohnheit auf Sommer- oder Winterzeit.

Und weil ich gerade in Fahrt bin, hexe ich noch ein paar Liebeszettel zu den Menschen, die sich seit Jahren heimlich lieben, aber es sich gegenseitig nicht zu sagen trauen, weil ihnen die Worte fehlen – seit sie vom Leben und der Liebe zu tief verletzt worden sind. (Als heimlicher Ghostwriter, von dem keiner was weiß, hi hi.) Und wie von Geisterhand finden sie einen echten Menschen, dem sie ihre geheimen Gedanken und Gefühle anvertrauen und nicht wie vorher nur Chat-GPT.

Nach getaner Hexerei fliege ich immer höher in den klaren Sternenhimmel hinein, sause mit Gebrause und wehenden Haaren einmal um die wunderschöne Erde, mache zum Finale einen Salto auf meinem Straßenfeger und fühle mich: frei.

(Wie übrigens auch beim Schreiben dieser Zeilen, die keine KI und kein Ghostwriter, sondern ich selbst geschrieben habe, was man in der digitalen Zukunft vermutlich öfter mal erwähnen muss.)
 
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