Hausbesetzung (19. Oktober 2025)

Ich mag das Häuschen. Vielleicht weil es keine Funktion hat – in einer Welt, in der fast alles eine Funktion hat (oder so tut als hätte es eine).

Da steht es. Unrenoviert. Unangepasst. Wie vergessen und nicht abgeholt. Fast nackt, nur eilig bemalt. Manch einer würde sagen: beschmiert. Hergerichtet ist es jedenfalls nicht. Vermutlich hatte es optisch betrachtet schon bessere Jahre. Seine Tür steht immer offen, weil es gar keine Türe hat. Auch kein Fensterglas. Man kann es nicht ausrauben, weil es darin nichts zu rauben gibt. Immerhin hat es ein Dach über dem Kopf und eine schöne Form.

Ich kenne es schon viele Jahre. Vielleicht wartet es einfach ab, was die Zeit so aus ihm macht. Es hat keine Aufgabe zu erfüllen. Es steht einfach nur da. Vielleicht schaut es zu, wie die Menschen den ganzen Tag hektisch in der Gegend herumeilen, weil sie den lieben langen Tag irgendeine wichtige Funktion erfüllen (oder so tun, als ob sie das täten), und wundert sich darüber. Oder es freut sich, wenn es bekannte Gesichter sieht. Bestimmt spielen auch mal Kinder darin. Funktionäre vermutlich eher nicht.

Heute habe ich das Häuschen mal besucht, weil ich es immer gerne betrachte, wenn ich in der Nähe bin. Jetzt gibt es ein paar Fotos von uns.

Ich könnte die Bilder in dem Häuschen an die Wand hängen. Dann wäre es eine geheime Ausstellung, die nur sieht, wer hineingeht. Ich könnte es vom Müll befreien, dort Getränke und Süßigkeiten verkaufen, dann wäre es ein Kiosk. Ich könnte zwei Stühle samt kleinem Tisch hineinstellen, Essen kochen, romantische Musik auflegen und eine Einladung verschicken. Dann wäre es ein Treffpunkt für ein ungewöhnliches Date. Ich könnte einen Zettel und Papier auf den Tisch legen, dann wäre es meine Schreibstube. Eine ohne W-LAN, in der ich Wind und Wetter ausgeliefert wäre. Ich könnte im Sturm vom Sturm schreiben und im Regen vom Regen. Bei Sonnenschein bekäme ich sicherlich Kommentare von Passanten zu hören und Fragen gestellt: was ich denn da täte? Vielleicht würde ich antworten: Ich schreibe eine Geschichte mit dem Titel „Täterätätä“, oder ich hätte gar keine Lust auf eine Erklärung, weil ich wie das Haus selbst keinerlei Funktion erfüllen und nichts auf Frageknopfdruck abliefern müsste. Und so wäre meine Antwort auf alles und nichts einfach nur: „Täterätätä.“ Das seltsame Haus hätte einen seltsamen Gast.

Oder ich könnte ein aufwendiges kulturelles Projekt draus machen, mit Förderpartnern, Flyern, Recherche und Ansprachen mit großen Gesten und noch größeren Worten, bei denen sich die Leute am meisten freuen, wenn es endlich Sekt gibt.

Aber ich denke, ich lasse es, wie es ist. Ein Haus ohne Funktion. In einer Welt voller Funktionen. Ich mag das Häuschen. Ich besetze es in Gedanken. Ich ziehe für einen Tag ein und gleich wieder aus – aus diesem funktionslosem Haus. Bis bald, kleines Haus!

Foto: frabauke Fotografie
 
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