Sprachnachrichten (20. September 2025)

„Boah, jetzt kommen noch die ganzen Knalltüten vom anderen Zug rüber, boah ey!“ Die Zugbegleitung hat vergessen, das Mikro auszumachen, und teilte noch ein paar private Sprachnachrichten mit uns. Wir Passagiere schauten verdutzt und kicherten. Kurz danach wünschte sie uns bei der offiziellen Durchsage mit freundlicher, angelernt melodischer Stimme eine gute Fahrt. Da lachten wir noch mehr. Sie hatte gleichzeitig gesagt, was man so öffentlich sagt und was man öffentlich so nicht sagt.

 Als sie meine Fahrkarte kontrollierte, platzte es aus mir heraus: „Es wurde bei der Durchsage vergessen, das Mikro abzustellen, und wir haben ein paar Sprachnachrichten mitgehört.“ Die Zugbegleitung schaute ganz irritiert, es ratterte in ihrem Kopf, und sie sagte: „Das gebe ich so weiter. Vielen Dank.“ Ich erkannte an ihrer Stimme, dass sie es selbst gewesen war, auch wenn sie so tat, als wäre es jemand anderer gewesen. Sie ging schnell weiter. Ich dachte: Besser, sie weiß es jetzt, als wenn sie den ganzen Tag nicht weiß, dass das Mikro an ist, und noch weitere Geheimnisse ausplaudert und es nicht oder ganz spät bemerkt. Das wäre dann so, wie wenn man abends feststellt, dass man Spinat zwischen den Zähnen oder den Rock in der Unterhose eingeklemmt hat, und sich fragt, wer das alles gesehen, aber nichts gesagt hat.

 Aber es ist doch ein bisschen lustig, was Menschen instinktiv so einfällt, wenn was Peinliches passiert. „Das gebe ich weiter. Vielen Dank.“ Ein Satzbaustein aus dem Baukasten „Behörden und Berufssprache“, Abteilung Erwachsenenwelt. Statt ganz ehrlich zu sagen: „O nein! Wie peinlich! Wie konnte mir das passieren!“ Sollten Kinder auch mal so machen – Eltern: „Du hast die ganze Schokolade aufgegessen!“ Antwort Kind, völlig förmlich und ausdruckslos: „Danke für die Information, das gebe ich so an meine Abteilung weiter!“

Wenn Kinder sprechen lernen, verwenden sie ja manchmal irgendwelche Wörter, um auszuprobieren, was passiert, wenn sie sie aussprechen. „Asloch!“ zum Beispiel. Tolles Wort, das macht Eindruck, da reagieren die Eltern auf mich. Erschrocken zum Beispiel. Oder wenn es in der Öffentlichkeit passiert, dann lachen sie seltsam, ganz anders als zu Hause. Oder sie meinen, besonders streng reagieren zu müssen, weil sie in der Öffentlichkeit vergeblich demonstrieren wollen, wer in der Familie angeblich der Chef ist. Und das Kind denkt: Wie lustig! Gleich noch mal sagen:„Asloch!“ Reagieren sie wieder?

Bei Kindervorstellungen sagen die Kinder auch häufig, was sie denken. Ist manchmal wirklich sehr lustig. Ein Kind im Kindergarten hat sich mal furchtbar geärgert, als wir für die Schatzsuche nach draußen gingen und die Kindergärtnerin gesagt hat: „Alle bitte Gummistiefel, Regenjacken und Matschhosen anziehen!“

Junge: „Kaum ist auch nur eine graue Wolke am Himmel oder der eine oder andere klitzekleine Regentropfen mit dem Fernglas erkennbar, schon muss man Matschhose, Gummistiefel, Regenjacke, Mütze und Handschuhe anziehen. Wegen einem kleinen Tropfen!“ Als Glucks habe ich gleich mitgemacht und gesagt: „Und dann wahrscheinlich auch noch kurze Unterhose, lange Unterhose, Hose, Socken, Unterhemd, T-Shirt, Longsleave, Pulli!“ „Ja, genau. Das alles auch noch!“ hat der Junge gesagt, und wir haben gelacht. Herrlich war das.

Und zum Thema Mikro: Im Theater kann es schon auch mal geschehen, dass man vergisst, das Mikro aus- oder einzuschalten. Letzteres ist mir mal passiert. Das war für ein Video von einem Auftritt. Fürs Publikum war es nicht schlimm, es waren nicht so viele da, die konnten mich gut verstehen, aber für die Aufnahme war es schade. Ewig hatten wir vorher am guten Sound rumgetüftelt, und dann war ich so mit meinem Spiel beschäftigt, dass ich ganz vergessen habe, den Knopf am Mikro zu betätigen. Danach habe ich mich aber über mich selbst geärgert, und weil ich keine Abteilung habe, konnte ich die Beschwerde auch nur an mich selbst weitergeben.

Heute zum Glück nichts dergleichen. Fazit des Tages: Keine Knalltüten und Monster im Publikum, nur aufmerksame Menschen.

Dafür Kopfkino auf der Rückfahrt: Was könnte alles Lustiges passieren, wenn bei so offiziellen, langweiligen, lobhudelnden Empfängen die Leute mal ihre Gedanken laut sagten und alle es hören könnten. Das wäre bestimmt kein bisschen langweilig – aber vermutlich für Fans dieser Menschen auch ein wenig erschreckend, wenn die Lobbyverbindungen und Schleimspuren aus dem Backstagebereich ins Publikum übertragen und damit unüberhörbar würden.

Oder wenn irgendwelche Superstars genervt ins Mikro sagen würden: „Jetzt wollen die Knalltüten auch noch Fotos mit uns. Kein Bock, will ins Bett!“ Und dann kämen sie grinsend mit guter Miene heraus und würden bekunden, wie wunderbar alles ist, welch große Ehre es sei, den Beruf ausüben zu dürfen („dürfen“ – sehr beliebtes Wort in der Kunstwelt), und wie unendlich dankbar sie seien, hier zu stehen, und was für großartige Fans sie hätten. Das hätte schon einen gewissen Witz. Und jeder im Publikum dächte in diesem Moment: Was für eine verlogene Welt! Nur die Stars würden auf Insta posten, wie mega der Abend war. Ha ha.

Aber es gibt nun mal so Tage auf der Bühne oder im echten Leben, da man muss man sich die Wahrheit der anderen anhören, ob man will oder nicht!

 

 
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