Glucks im Glück oder der lebenslängliche Versuch es zu werden (30. Juli 2025)

Vor langer, langer Zeit nach meiner Clownausbildung in Hannover, beschloss ich, meinen Nebenjob bei Karstadt, den ich ein Jahr lang hatte, zu kündigen und hineinzuspringen in die künstlerische Selbständigkeit. Ich tauschte mein festes monatliches (kleines) Gehalt gegen die Freiheit, mich ganz auf eines zu konzentrieren: mit Haut und Haaren und roter Nase aufzutreten. Ein befreiendes Gefühl!

Mulmig war mir dennoch, als die Chefin dort sagte: „Du wirst es bereuen. Ich würde dir nicht raten, es zu tun. Mit Kunst dein ganzes Geld verdienen, das du zum Leben brauchst? Das kann nicht gutgehen!“ Ich kündigte trotzdem und sprang hinein. In meine Welt.

Ich tauschte meine Arbeit, die oft am Wochenende stattfand, gegen ein paar private Partys, die auch am Wochenende stattfanden, und ging des öfteren nicht hin. Alles hat einen Preis oder eine Auswirkung auf alles andere im Leben, wenn man es richtig machen will und nicht nur halbherzig. Ich tauschte den vorgegebenen Takt der Stechuhr und des Lebens der anderen gegen meine innere Uhr. Ich arbeitete Ideen aus, wenn die Muse mich küsste. Geld bekam ich meist nur für das (theatrale) Endergebnis.

Im Jahre 2022 hatte ich eine ziemliche Krise wegen den ganzen politischen Maßnahmen – Machtspielen, die mich zwei Jahre lang stark be- und (ge)troffen haben und die ich nicht einfach wegstecken und so tun konnte, als wäre das alles ganz notwendig und normal gewesen.

Ich hatte meine (rote) Nase voll und bewarb mich für was anderes. Und tat etwas, was mir bis dato völlig unbekannt war: Ich bewarb mich nicht per Mail für einen Auftritt, sondern für eine Ausbildung gleich mit einer ganzen Mappe. Es dauerte eine Weile, bis ich in einer Kiste mein verstaubtes Abiturzeugnis fand; ich machte ein seriöses Foto (ohne rote Nase), schrieb meinen Lebenslauf auf und bekam eine Zusage für eine berufsbegleitende Ausbildung zur Erzieherin. In meiner Vorstellung war ich durch diese Entscheidung unabhängig von der Kunstwelt und der dort herrschenden Doppelmoral geworden. Erst 2G-Schilder, dann Awareness-Teams. Werde ich in meinem Kopf nie zusammen kriegen! Sorry Leute, es war/ist vergebene Liebesmühe, mich diesbezüglich zu belehren. Ich habe auch meine Prinzipien.

Aber ich hielt es bei der berufsbegleitenden Ausbildung nur ganze eineinhalb Tage aus. Drei Jahre waren vorgesehen! Ha ha. Und so tauschte ich die Möglichkeit einer zukünftigen Anstellung mit festem Gehalt gegen mein altes Leben in der Gegenwart zurück. Einen freien Geist wie mich kann man nicht in ein Klassenzimmer sperren, in dem es nach Angstschweiß riecht, man seine Zeit absitzen muss und von einem Typen wie Mr. Burns über das Leben belehrt wird. Gerade wenn es um so etwas Wichtiges wie Kinder geht, sollte man schon auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Auch in einer Ausbildung.

Einmal sollten wir uns plötzlich gehorsam in einer Reihe aufstellen – weshalb, erfuhren wir nicht. Ich konnte mir nicht verkneifen, im Stechschritt nach hinten zu laufen und zu salutieren. Mr. Burns war nicht da, aber ein paar Frauen lachten. Es gab viele tolle Frauen und zwei Männer, einige aus anderen Ländern, die gut deutsch sprachen, deren Berufsabschluss aber aus irgendwelchen bürokratischen Gründen nicht anerkannt wurde und die deshalb noch mal von vorne beginnen mussten. Viele mit Kindern zu Hause. Es stellte sich heraus, dass die Reihe für Fotos gewesen wäre, damit sie einen „zuordnen“ könnten – da hätten sie ja auch fragen können, ob man einverstanden ist, und nicht nur „Befehle“ erteilen. So sollte man in meiner Welt weder mit Erwachsenen noch mit Kindern umgehen.

Ich spürte durch meinen kurzen Ausflug in eine andere Welt aber doch wieder, wie viel Freiheit ich in meinem aktuellen Leben hatte! Damit meine ich nicht unbedingt die Außenwelt – die ist für mich schon eine ganze Weile ziemlich ungemütlich, unberechenbar und (in der Politik und Mehrheitsgesellschaft) viel zu kriegerisch geworden –, sondern vor allem eine Freiheit in und mit mir selbst.

Es gibt natürlich genug Willkür, der ich dennoch ausgeliefert bin, das möchte ich nicht schönreden, denn ich habe ja keinen Einfluss auf das, was politisch geschieht und noch geschehen wird. Wahrnehmen tue ich es selbstverständlich trotzdem. Die Leute sollten echt mal wieder mehr Marx lesen! Ein Satz würde reichen: „Militärische Intelligenz ist ein Widerspruch in sich.“ (Groucho Marx)

Kurz und bündig: Ich tausche nun seit neunzehn Jahren meine Auftrittsarbeit gegen Geld, von dem ich lebe. Karstadt hingegen ist seit einer ganzen Weile pleite.

Und letztendlich könnte man sich bei jeder Entscheidung, die man für das eigene Leben trifft, fragen: Macht mich das wirklich glücklich? Oder behaupten das nur die anderen Leute?
 
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