Reisebekanntschaft und gutes Essen (15. Mai 2024)
Wenn ich mit meinem alten Koffer unterwegs bin, werde ich häufig angesprochen. Heute erzählte mir eine ältere Dame, dass sie genau so einen Koffer vor fünfzig Jahren auf ihrer allerersten Reise dabei hatte. Sie besuchte damals eine Freundin in Südtirol, und es war sehr aufregend für sie. Die beiden sind bis heute befreundet. Die Freundin bedeutet ihr sehr viel, sie fährt jedes Jahr zu ihr. Dieses Jahr allerdings kann sie sie leider nicht besuchen, weil sie zur Reha muss.
Ich fragte sie, ob die Freundin in diesem Fall nicht mal nach Augsburg kommen könnte? Aber die Freundin kann leider nicht aus Südtirol weg, weil sie täglich für die Mitarbeiter ihrer alten Firma kocht, obwohl sie schon lange in Rente ist. Das fanden wir beide recht nett von ihr – aber auch ein bisschen schade für die Freundin.
Weil ich beruflich viel unterwegs bin, finde ich es manchmal recht lustig, wenn Leute schon andere Stadtteile in derselben Stadt als „weit weg“ empfinden. Zum Beispiel wenn ich in München-Giesing spiele, eine zeitnahe Vorstellung in Sendling ankündige und mir denke: Wie praktisch! Eine weitere Vorstellung in derselben Stadt, ganz in der Nähe! Dann fragen manche Besucher, ob ich nicht auch bald wieder in Giesing auftrete, wo sie wohnen, weil das dann nicht so weit weg sei.
Für mich sind die beiden Stadtteile quasi nur einen Katzensprung voneinander entfernt, und ich komme ja extra aus Augsburg angereist, aber ihnen erscheint eine Entfernung von wenigen Kilometern eben „weit weg“. Und ich glaube nicht, dass bei den meisten Familien Fortbewegungsmittel Mangelware sind. Vom Kinderwagen über Kleinwagen, Fahrrad, Familienvan, Laufrad, Lastenrad, Skateboard, Schlitten, Skier, Inliner, Roller bis zum Rollator scheint mir da bereits für mehrere Generationen bestens vorgesorgt.
Da fällt mir ein, dass ich zur Zeit meiner beruflichen Anfänge im „ars musica“ in München-Sendling mal eine Familie im Publikum hatte, die zufällig in meiner Vorstellung gelandet war. Sie waren in München zu Besuch und hatten ein Plakat gesehen. Zur nächsten Vorstellung sind sie extra aus dem Allgäu angereist. Es waren nicht viele Leute da, vielleicht so um die zwanzig, und die Familie aus dem Allgäu stellte drei davon. Ihr kleines Mädchen hatte sich eine Blume ins Haar gesteckt und das mit „Wie du, Glucks!“ kommentiert. Nach der Vorstellung posierten wir gemeinsam für ein Foto …
Ich denke, beim Publikum und auch bei Freundschaften kommt es eben nie auf die Zahl an, sondern letztendlich geht es um den magischen Moment der Begegnung, der einen entzündet. Und wenn man eine weite Reise macht – zum Beispiel von Sendling nach Giesing (falls man das als weit empfindet) oder vom Allgäu nach München oder wie die Dame aus dem Zug von Augsburg nach Südtirol –, um sich zu treffen, dann ist das schon mal ein ganz gutes Zeichen. Und gutes Essen für andere zu kochen, ist auch nicht zu unterschätzen.
Heute beim SOS-Familienzentrum gab es viele Frauen, die gekocht und Essen mitgebracht hatten. An dem liebevoll angerichteten Buffet hätte sogar die Raupe Nimmersatt ihre wahre Freude gehabt. Gleich bei meiner Ankunft wurden mir Speis und Trank angeboten. Die Polizei war auch da. „Die kommen jedes Jahr, vermutlich weil das Buffet so gut ist“, raunte man mir zu. Aber erst mussten sie ihre Flyer vom Tisch meiner Spielfläche wegräumen, auf dem sie sich ausgebreitet hatten.
Die Gäste wurden begrüßt, das Buffet eröffnet, und weil die Speisen den Gästen so gut schmeckten, spielte ich etwas später … Erst kommt das Essen, dann die Vorstellung! Gute Reihenfolge, besser als gleichzeitig. Das habe ich auch schon erlebt, da kam ich mir vor wie ein Fernsehprogramm. Ha ha, nur umschalten wäre nicht gegangen.
Bei meiner Vorstellung war es zunächst recht unruhig im Saal, vor allem bei den Erwachsenen, die trotz Ankündigung der Veranstalterin weiter lautstark plauderten. Die Kinder hingegen saßen sehr aufmerksam in den ersten Reihen, die ich vorher noch mit aufgebaut hatte.
Weil es so unruhig war, rief ich, so laut ich konnte, in die letzte Reihe zu dem Polizisten, der dort hinten stand und sich mit einer Kollegin ungeniert unterhielt: „Bitte Ruhe bei der Vorstellung oder zum Quatschen rausgehen, das gilt auch für den Herrn Polizisten!“ Das brachte zum Glück sowohl die Ordnungskräfte als auch die übrigen Erwachsenen dazu, endlich etwas leiser zu sein. Zu einem gelungenen Auftritt braucht es schon ein aufmerksames Publikum! Ständiges Gerede und Gemurmel kann sehr ablenkend wirken und bringt irgendwann auch die Kinder aus der Konzentration. Schön war’s dann jedenfalls noch. Danach sind alle wieder ans üppige Buffet gestürmt.
Auf meiner Rückfahrt das übliche Chaos. Eine defekte U-Bahn: „Bitte alle aussteigen!“ Danach Verspätung wegen eines am Hauptbahnhof plötzlich erkrankten Fahrers. Vielleicht hatte er ja was Schlechtes gegessen … Ich bin mir sicher, dass das niemandem passieren wird, der heute beim Maifest im SOS-Familienzentrum in München war. Und ich konnte zu dem Festmahl (zumindest für die aufmerksamen Kindern, einige Erwachsene und die wenigen Vätern, die da waren und später extra auf mich zukamen, um sich zu bedanken) eine kleine Prise Humor beisteuern.