Lachen und Weinen (29. Juni 2025)

Heute am Bahnhof wartete ich im Schatten auf den Zug. Plötzlich ist eine Frau, die neben mir saß, in Tränen ausgebrochen. Erst dachte ich, sie habe Schnupfen, bis aus dem Schniefen ein lautes Schluchzen wurde. Da habe ich ihren Arm berührt und sie ein wenig getröstet. Sie hat mich traurig angeschaut und auf Englisch gesagt, dass etwas Furchtbares passiert sei. Dann habe ich ihr ein Taschentuch gegeben (ich war froh, welche dabei zu haben), und sie hat „Thank you“ gesagt. Wir saßen ein Weilchen schweigend nebeneinander. Bevor der Zug kam, ist sie aufgestanden und weggegangen. Sie hat mich noch mal kurz angeschaut und erneut „Thank you“ gesagt, und ich habe „You are welcome“ geantwortet.

Ich bin in den Zug gestiegen. Ich war ein bisschen früher unterwegs als nötig, damit ich bei dem warmen Wetter ein paar Pausen machen konnte. Heute arbeitete ich da, wo andere baden gehen: am Starnberger See. Mit Seeblick. Im Winter war ich schon mal auf dieser schönen kleinen Bühne. Und jetzt im Sommer. Wenn man selbst zum Arbeiten unterwegs ist, wundert man sich immer über die Sonnntagsurlaubstimmmung, mit der die Leute in den Zug ein- und aussteigen. Sind das die gleichen Menschen, die ab Montag wieder so hektisch unterwegs sind, oder sind es andere? In Sommerkleidern, Sonnenbrillen, Sonnntagsshirts, Turnschuhen und Badelatschen wirkten sie auf mich erstaunlich entspannt, manchmal ein bisschen träge, wenn ich mit viel Gepäck an ihnen vorbei muss.


Sie guckten gähnend aus Fenstern, vor denen grüne Felder und Wälder aufmunternd an ihnen vorbeizogen. Ein Mann ging in die Toilette und schloss nicht mal die Tür, als er sich im Spiegel betrachtete. Ich fing seinen Koffer auf, der wegrollte, als sein Herrchen nicht mehr bei ihm war. Eine Frau erzählte eine Partygeschichte nach der anderen fröhlich ins Telefon, dann schminkte sie ihre müden Augen. Der Zug erschien mir heute wie ein großes Wohnzimmer und nicht wie sonst als eine Art Großraumbüro voll mit Leuten, die sich nicht leiden können und ihre Zeit absitzen müssen. Auch der Schaffner schlurfte gemächlich vorbei und ließ sich spielerisch nach hinten kippen, als der Zug beschleunigte. Wir lächelten uns an, und auch eine Frau, die uns lächeln sah, lächelte, und ich stellte mir vor wie sich jetzt das Lächeln im ganzen Zug ausbreitete, und hoffte, dass auch die traurige Frau am Bahnhof eines Tages wieder fröhlich sein könnte.

Bei dieser ganzen schläfrigen Gemächlichkeit hätte ich fast meinen Ausstieg in Pasing verpasst. Gerade noch rechtzeitig stieg ich aus und lief zum Lift. Da quetschten sich jede Menge rüstige Rentner in Radlerhosen mit Rädern an mir vorbei, und ich beschloss, ihnen den Vortritt zu lassen und selbst die Rolltreppe zu nehmen. „Ist Flohmarkt oder was?“, riefen sie mir zu und zeigten auf mein Gepäck. Dann lachten sie in ihrer nagelneuen Sportkleidung auf ihren blitzeblanken Hi-Tech-Rädern über ihren eigenen Witz. Nur ich hatte auf Rentnerscherze gerade keine Lust, nickte ihnen zu und dachte für mich, dass nicht jedes sportliche Outfit jeden Menschen auch gleich sportlich erscheinen lässt.


Später beim Auftritt lachten die Kinder bei meinem Spiel. Sie hatten sich auf viele Schattenplätze verteilt und beteiligten sich munter an der Vorstellung. Ein aufgeweckter Junge in der ersten Reihe rief plötzlich, dass Piranjas sehr gefährliche Meerestiere sind und sich, weil sie kein Gedächtnis haben, vor nichts und niemandem fürchten. Nicht mal vor Piraten! Bei der Schatzsuche nach der Vorstellung machte eine Frau von der Presse Bilder von uns und sagte, wie schön es wäre, wenn noch der See mit drauf sei. Wir taten ihr den Gefallen und schwammen als lange Seeschlange noch eine Runde an den Badegästen und am See vorbei. Nach dem Auftritt und dem Einpacken merkte ich, wie heiß mir war, und fühlte mich platt wie eine Flunder.

Nach einer Stärkung ging es wieder, und ich lief zum Bahnhof. Der Dampfer auf dem See hupte zum Abschied. In der S-Bahn ergatterte ich einen Stehplatz. Es war heiß wie in der Sauna. Meine Lippen schmeckten salzig. Alle schwitzten um die Wette. Die Leute telefonierten, häckelten, ratschten, fächerten sich Luft zu, teilten sich Kopfhörerkabel, machten Videokonferenzen in ferne Länder. Ein großer Mann neben mir beugte sich weit nach unten zu seiner kleinen Frau und küsste sie. Mal überraschend auf ihre linke, dann wieder auf die rechte Wange. Sie kicherte jedesmal. Zum Abschluss lehnte er sich auf ihre zarte Schulter, und plötzlich wirkten ihre Körper, die nebeneinander so unterschiedlich gewesen waren, wie ein Körper. Ineinander verschmolzen. Ich lächelte zufrieden in mich hinein, schrieb diese Zeilen und freute mich auf den nächsten Tag. Da spiele ich nämlich wieder. Diesmal nicht am See, sondern im Garten. Im Kindergarten: mein Meerchen.

 
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