Lachende und lauernde Menschen (18. Mai 2025)

Heute bin ich mit einem Schlafzimmerblick aufgewacht. Aber nicht Marylin-Monroe-artig, sondern einfach etwas müde habe ich in Richtung Schlafzimmer geblickt, bin dann trotzdem aus den Federn gekrochen. Es waren ja zwei Vorstellungen vereinbart, und was getan werden muss, muss getan werden. Die erste fand vormittags im abraxas statt, die zweite war eine private Feier am Nachmittag. Kaum war ich an der frischen Luft, fühlte ich mich schon recht munter und voller Vorfreude. Es waren um die siebzig Reservierungen, und ich hatte Lust aufs Spiel.
Die Vorstellung war schön, wie im Theater eigentlich meistens. Ist ja auch alles da, was wir so brauchen: ein aufmerksames, lebhaftes Familienpublikum, Licht und Sound. Wenn so viel Konzentration im Raum ist, kann man die ganzen Feinheiten im Stück wunderbar ausspielen. Das liebe ich besonders – und mit Oma zu spielen sowieso!
Zügig haben wir danach eingeladen, weil ich zum zweiten Auftritt musste nach Augsburg-Lechhausen und Judith zur Probe nach München. Das Equipment brachten wir mit dem Auto in mein Lager. Ich blieb gleich geschminkt, und Judith fuhr mich noch netterweise zum Spielort. In ein Restaurant. Wieder eine Kommunion, aber keine Sorge: nicht so schlimm wie neulich (da hatte ich kein Glück mit dem Publikum …). Heute war es zum Glück ganz anders, das merkte ich gleich als ich in den Saal kam. „Ui, ein Clown!“, „Oh, für uns?“, freuten sich die Kinder. Und als ich sie fragte, ob sie Lust auf eine Theatervorstellung haben, riefen sie: „Ja, Theater!“ Ich beschloss, aus Platzgründen open Air zu spielen. Alle brachten Stühle raus, und wir vereinbarten, uns in zehn Minuten wieder zu treffen. Und los ging’s! Also, wenn man ein Publikum casten könnte – ich hätte das aus dem abraxas und das aus Lechhausen genommen!
Nach der Vorstellung lief ich zum nahegelegenen Bus, der laut App in zwanzig Minuten eintreffen sollte. Ich setzte mich auf ein Mäuerchen im Halbschatten, zufrieden mit der Welt, und starrte Löcher in die Luft. Da kam ein Mann und sagte: „Runter von der Mauer!“ Ich dachte erst, ich hätte mich verhört, und fragte: „Bitte was?“ Er erwiderte: „Sie gehen jetzt da von der Mauer runter!“ Ich: „Aber warum denn?“ Er: „Weil Sie da nichts zu suchen haben!“ Verblüfft stieg ich runter und sagte: „Aber ich sitze doch hier bloß!“ „Nein! Hier ist sitzen verboten!“, wütete der Mann. Da ich aber nicht mehr auf der Mauer saß, ging er in sein Haus und knallte die Tür zu.
Ich schaute doof aus der Wäsche, bis mir das irgendwie zu blöd wurde, dann hatte ich erneut Lust, mich hinzusetzen und eine Pause zu machen. Und tat es einfach. Er würde doch nicht schauen, was ich machte, oder? Doch! Kurze Zeit später ging die Tür wieder auf! Der Giftzwerg hatte wahrscheinlich die ganze Zeit durch seinen Spion gespäht, ob ich mich erneut auf die heilige Mauer setzen würde, kam mit großen, ärgerlichen Schritten auf mich zu und schrie: „Runter da!“ Was war mit dem los? Er war richtig auf Krawall gebürstet! Ich sagte mit der Mauer zwischen uns: „Ihr Verhalten ist irgendwie lächerlich. Der Mauer passiert doch nichts, wenn ich da sitze!“
Er entgegnete: „Das mag lächerlich sein, aber sie gehen da jetzt runter! Das ist meine Mauer und mein Eigentum.“ „Das ist Ihre Mauer? Sie gehört Ihnen?“, fragte ich.
„Ja!“, brüllte er.
Ich kam mir vor wie im Sandkasten mit einem Kind, dem ich die Schaufel weggenommen hatte. Eigentlich bin ich es ja gewohnt, Menschen zum Lachen zu bringen, aber diesen Mann trieb ich irgendwie zur Weißglut. Gegen seine Mauer im Kopf war ich machtlos. Ich beschloss aufzugeben, nicht dass er noch weiter ausflippte, vor lauter Wut und Verteidigung seines Eigentums! „Na dann“, sagte ich, stieg von das zweite Mal von der Mauer und sparte mir den Satz „Eigentum verpflichtet!“, der mir plötzlich im Kopf herumgeisterte. Der Mann ging wutschnaubend davon, und kurze Zeit später kam auch schon der Bus.
Aber er fuhr an mir vorbei. O nein! Ich lief hinterher. Er hielt kurz an einer anderen Haltestelle und fuhr davon. Ich war die ganze Zeit an der falschen Haltestelle gestanden, dämmerte mir plötzlich. Sie lag etwas versteckt, aber dafür mit Sitzbank für die Öffentlichkeit und ganz ohne Privateigentum. Ich lachte über mich selbst. Wäre ich da gesessen, wäre ich kein bisschen angepflaumt worden. Der nächste Bus sollte erst in einer Stunde kommen, das dauerte mir viel zu lang. Wir mussten ja heute abend noch mal ins abraxas, um für die Vorstellung morgen früh ein anderes Stück aufzubauen, und Hunger bekam ich langsam auch.
Ich bestellte ein Taxi, das bald kam. Ein freundlicher junger Taxifahrer stieg aus und half mit dem Gepäck. Ich erzählte ihm von meinem Missgeschick mit dem Bus und von dem Mann und seiner Mauer. Er lachte. „Leute gibt’s, Alter! Soll er sich die Mauer halt in sein Zimmer stellen, wenn da niemand drauf sitzen darf!“ Wir lachten. Und dann erzählte er mir von seinem Schrebergarten. Das sei ein furchtbar hässlicher Garten gewesen, den wollte niemand haben, aber er habe ihn monatelang schöngemacht und jetzt sei er der schönste Garten von allen! Als wir das Ziel, mein Lager, erreicht hatten, zeigte er mir Fotos. Dort war auch ein selbstgebauter Schuppen mit lauter Sitzgelegenheiten für Gäste. Sah echt hübsch aus, sein schöner kleiner Garten. So kann man seine freie Zeit auch verbringen, statt Menschen aufzulauern, wenn sie auf der Mauer sitzen! Und wenn der Taxifahrer in ferner Zukunft mal in Rente sein sollte (falls es das bis dahin überhaupt noch gibt) und doch irgendwann zu einer Mauer kommt, glaube ich nicht, dass er den ganzen Tag dahinter auf der Lauer liegen wird, um sie zu verteidigen, wenn da mal kurz ein müder Clown eine Pause macht!
Ich glaube er pflanzt stattdessen einfach jede Menge Sonnenblumen, da können sich dann alle drüber freuen. Und bei uns scheint morgen auch wieder die Sonne. Gleich in der Früh bei Meister Klings geheimer Klangwerkstatt, da besucht uns eine Schule, und wir wecken Meister Kling, die alte Schlafmütze, damit er uns seine geheime Klangwerkstatt zeigt. Aber jetzt erstmal eine Mütze Schlaf für mich. Gute Nacht!