Bunter Vogel (27. März 2025)

Endlich Frühling! Die Vögel hatten heute morgen viel zu erzählen. Sie sangen und tirilierten. Was in der Vogelwelt wohl vorgefallen war? Ging es um Futterneid oder nur um den neusten Tratsch? Oder wollten sie mich mit ihrem Gesang verzaubern? Vielleicht in einen in Deutschland gestrandeten Pinguin? Oder in einen fröhlichen Kolibri? Oder eine schlaue Krähe? In einen eleganten Kranich-Tänzer? Mein Handy klingelte. Ich ließ es läuten. Ich hatte zu viel Gepäck dabei und hätte ohne eine Slapstick-Einlage gar nicht gleichzeitig gehen und telefonieren können.
Es soll ja Vögel geben, die Handyklingeln imitieren können. Stare zum Beispiel. Ich dachte an Menschen, die wie aufgescheuchte Hühner ans Handy rennen – und dann ist niemand dran. Als Klingelstreich aus der Vogelperspektive sicher sehr amüsant. Die Amseln in Kiel imitieren sogar ein Alarmsignal der E-Scooter. Und auf dem Land soll es Vögel geben, die Kettensägen und Rasenmäher nachahmen.
Ich stellte mir kurz ein perfektes Paar in einem perfekt möblierten und perfekt finanzierten Eigenheim vor. Es saß in einem perfekt angelegten, perfekt ruhigen Garten, bereit für die perfekte Erholung. Es war gerade dabei, das perfekte Leben mit einem perfekten Turteltauben-Selfie im perfekten heimeligen Nest noch perfekter aussehen zu lassen – da (Trommelwirbel!) tauchten plötzlich Vögel auf. Zunächst passten sie mit ihrem hübschen Gefieder noch ins perfekte Bild, aber dann ertönte aus ihren zarten Kehlchen die Imitation von Kettensägen, die Bäume fällen! Anschließend rundeten sie ihr Balzkonzert mit Rasenmäher, Weckerklingeln und Auto-Alarmanlagen-Geräuschen ab. Sie hörten gar nicht mehr auf. Vorbei war's mit der perfekten Soundkulisse im perfekten Eigenheim! Und keine perfekt abgeschlossene Versicherung, die für einen Schaden, verursacht durch Singvögel in Balzlaune, aufkam. Hals über Kopf wurde das perfekte Leben in Umzugskisten gepackt.
Die Vögel in Augsburg hatten damit allerdings nichts zu tun! Sie trällerten unschuldig von ihren Baumkronen und flatterten zum Finale hoch in die Lüfte. Im Himmel sah ich eine Wolke. Sie sah aus wie eine Schüssel. Gab es jetzt etwa ein leckeres Wolkenfrühstück?
Ich flog nicht mit, sondern blieb am Boden und watschelte mit meinem Handwagen zum Zug. Heute ging's nach Maisach. Meine Spielwiese war ein Pfarrsaal im Kinderhaus. Zwei Vorstellungen waren geplant. Dazwischen hatte ich eine kurze Pause. Da trank ich Wasser, schminkte mich nach, lüftete mein Gefieder und spulte auf Anfang.
„Hu hu, da bin ich, wo seid ihr?“, rief ich als Glucks heute schon zum zweiten Mal und kam rückwärts in den Raum.
„Hier!“, antworteten die Kinder fröhlich. Ich drehte mich um und begrüßte die Kinder. Später setze ich mich auf den Tisch und öffnete mein großes Buch. Ich schaute hinein und war hinter dem Buch verschwunden. Ich reckte meinen Hals über das Buch und sagte: „Kuckuck!“ Die Kinder kicherten. Ich kam unter dem Buch zum Vorschein und sagte wieder: „Kuckuck!“ Und dann „Wollt ihr auch gucken?“
„Ja!!!“ bekam ich als Antwort. Ich zeigte ihnen mein Bilderbuch. Es hatte eine Seite. Darauf abgebildet: das Meer und ein Schiff. Darüber eine Seemöwe und … „Da bist ja du!“, rief ein Kind.
„Wo?“, fragte ich.
„Da! Du sitzt auf einer Wolke“, rief es.
„Und was mache ich da?“, fragte ich.
„Du liest!“ war die Antwort.
„Bestimmt eine Abenteuergeschichte!“, antwortete ich.
„Und dann fällst du durch die Wolken durch“, rief ein anderes Kind. Das Publikum prustete bei diesem Einfall vor Vergnügen.
„O nein, ich falle durch die Wolken durch?!“, wiederholte ich, sauste mit dem Buch über meine Spielfläche und taumelte zum Tisch. Dort stellte ich das Buch ab, und los ging’s!
Die Kinder lachten, als es mir misslang, den Koffer hochzuheben. Um mich zu stärken, begann ich mein clowneskes Aufwärmtraining. Die Kinder machten mit und imitierten meine Bewegungen. Stolz zeigten wir uns danach gegenseitig unsere Muskeln. Ein paar Jungs waren kaum zu bändigen, so sehr präsentierten sie ihre Muckis und wollten miteinander kämpfen. Eine Erzieherin hielt die fröhlich balgenden Streithähne von ihrem ausuferndem Showkampf ab. Dann setzte sich das Publikum wieder hin.
Endlich gelang es mir, den Koffer in die Luft zu heben. Er wurde ganz leicht, dann wieder schwer, und wirbelte mich plötzlich im Kreis! Die Kinder riefen „Stopp!“; der Koffer gehorchte. Ich spielte, dass ich erschöpft war, und setzte mich für eine kurze Pause auf meinen dritten Stuhl, der zusammenklappte. Lautes Gelächter. „Was gibt’s da zu lachen?“ Kichern als Antwort. „Du bist zu schwer!“ „Ach so!“ Nach weiteren Schelmereien mit meinen anderen zwei Stühlen saß ich endlich richtig herum auf dem Stuhl, um den Koffer zu öffnen. Doch der war viel zu weit weg! Ich stand wieder auf, machte ein paar Angeber-Kung-Fu-Kicks in die Luft, schmiss den Koffer mit meinem Hinterteil um und schob ihn umständlich zum Stuhl. Endlich geschafft. Ich setzte mich vor den Koffer. „Mach ihn endlich auf!“, rief ein ungeduldiges Kind. Ich machte es noch ein wenig spannend, trommelte auf den Koffer und öffnete ihn. Ich holte einen kleinen Koffer heraus und aus dem kleinen Koffer einen noch kleineren.
„Das geht jetzt immer so weiter!“, rief ein Mädchen mit vor Aufregung geröteten Backen „Bis du einen klitzekleinen Koffer hast!“ Aber nein! Im dritten Koffer war ein blaues Tuch! Ich machte Wellen und tauchte unten durch. Es war in meiner Fantasie das Meer. Ich legte es auf den Boden. Ich kostete davon. „Das schmeckte viel zu süß“, beschwerte ich mich. Ich holte eine Salzdose aus dem Koffer und salzte das Meer. „Das ist bestimmt bloß Zucker. Das hast du verwechselt!“, rief ein Kind. Ich probierte. „Nein, das schmeckt salzig. Das ist echtes Meersalz!“ Die Kinder waren beeindruckt: „Echtes Salz!“, wiederholten sie. Ich erwiderte: „Aber zu wenig. Wir brauchen noch mehr Meersalz", und salzte das Tuch noch eine Prise mehr. Wir tauchten ein in die Geschichte.
Das Spiel mit den Kindern war beide Male schön, sie waren voll dabei. Nach der Vorstellung verabschiedete ich mich.
„Deine rote Nase sieht aus wie eine Eierschale!“, bemerkte ein Kind
„Liegt bei uns in der Familie“, sagte ich. „Meine Oma hat auch so eine Nase! Vielleicht bringe ich sie mal hierher mit.“
„Ihre Nase?“ Das Kind kicherte über den eigenen Scherz. Wir gackerten. „Nein, meine Oma! Die ist auch so ein komischer Vogel wie ich!“ Ich rief: „Tschüss!“ Die Kinder sagten „Tschüss“, die Kindergärtnerinnen sagten: „Danke, schön war das.“ Sie nahmen die Kinder der Marienkäfer-Gruppe und der Spatzen-Gruppe wieder unter ihre Fittiche.
Ich schminkte mich ab. Jetzt sah ich nicht mehr aus wie ein bunter Vogel mit Eierschalennase. Ich packte meine Sachen und lief zum Bus, der mich zum Bahnhof bringen würde. Ich pfiff fröhlich vor mich hin. Pfiff da etwa wer zurück? Es raschelte frech in den Bäumen. Da konnte jemand eindeutig besser pfeifen als ich. Bestimmt ein scheuer Star, der von seinem großen Auftritt als Rockstar träumte! Oder eine Singdrossel? Oder ein Zilpzalp? Oder ein hübscher Ornithologe, der gerade die Vogelsprache erlernte? Ich lauschte dem ungewöhnlichen Konzert zum zweiten Mal heute. Ich fühlte mich herrlich. Wie ein freier Vogel!
In einem Vorgarten sah ich ein Bild von einem Storch „Herzlich willkommen, Mara!“ Bringen auf dem Land immer noch die Störche die Kinder?, fragte ich mich. Ich hatte jedenfalls noch in keinem Garten ein Bild von einem Kuckuck gesehen, der ein Baby brachte. Wahrscheinlich pfiffen so was nur die Spatzen von den Dächern. Und beim feucht-fröhlichen Gartenfest unter Zwetschgenzweigen zwischen Zwetschgenkuchen und Zwetschgenschnaps zwitscherten die Leute: „Sieht der kleine Robin von der Eva nicht aus wie der Franz von der Monika?“
Nur die Zugvögel unter den Menschen bleiben bei solchen aufgeregten Gesprächen recht gelassen. Sie wissen ja, dass man Menschen, ihr Herz und ihre Lust, sowieso nicht besitzen kann. Sie bleiben selbst nur so lange an einem Ort, wie es ihnen gefällt, dann ziehen sie weiter oder kommen wieder. Je nachdem.
Mit diesen Gedanken über Zugvögel und Menschen wartete ich am Bahnhof. Später im Zug brütete ich ein wenig über die passenden Worte für diesen frühlingshaften Text. Danach lief ich durch den Park, atmete den Frühlingsduft ein und schlenderte an einem blauen Blütenmeer vorbei nach Hause. In mein Nest.