Roboter (21. Februar 2025)

Bevor ich zum Auftritt gefahren bin, habe ich mich bei einem Newsletter angemeldet und musste unleserliche Buchstaben entziffern, um zu bestätigen, dass ich kein Roboter bin. Als ich dann in München aus dem Zug stieg, traf ich auf einen Mann. Oder doch auf einen Roboter? Ohne Blickkontakt und ohne mimische Regung rammte mich dieser ältere Herr, der es nicht erwarten konnte einzusteigen, bevor ich ausgestiegen war. Mir blieb nur noch übrig, laut „He!“ zu rufen. Aber keine Reaktion.
Am Hauptbahnhof auf dem Weg zur U-Bahn erblickte ich den um sich selbst drehenden Zeitungsverkäufer. Mit der „Biss“ in der Hand drehte er sich im Kreis. Nur wenn man eine Zeitung kauft, hält er kurz inne. Heute las ich den Untertitel der „Biss“. Da stand: „Die Welt nicht einfach hinnehmen.“ Und er rotierte dabei wie die Erde um die eigene Achse. Mit etwas Sound im Hintergrund. Nur ein wenig langsamer über die Jahre, in denen ich ihn beobachte. Wenn er mal nicht da ist, sehe ich ihn vor meinem inneren Auge. Drehend wie ein Derwisch.
Später, als ich die Rolltreppe hinunter fuhr, sah ich unten einen Jungen, der aufs Smartphone schaute und Richtung Rolltreppe lief. Ich verfolgte neugierig, wann er, vertieft in seiner digitalen Welt, bemerken würde, dass er nicht nach oben fahren konnte, weil die Rolltreppe in die entgegengesetzte Richtung fuhr. Das Kind kam näher, setze sogar den Fuß auf die Treppe, bemerkte den Fehler, drehte sich abrupt um und lief wie ferngesteuert die Treppe hinauf, ohne den Blick vom Smartphone zu wenden. Ich fragte in seine Richtung: „Hast du das gar nicht gemerkt?“ Keine Reaktion. Aber vielleicht musste er auch gerade unleserliche Wörter entschlüsseln oder Straßenschilder erkennen, damit er beweisen konnte, kein Roboter zu sein, um als Mensch ins höhere Level zu gelangen?
In der U-Bahn packte ein Mädchen einen Krapfen voller bunter Streusel aus. Ich sah, wie ihm das Wasser im Mund zusammen lief. Es wollte gerade in das leckere Gebäck hineinbeißen, da wurde es von der Mutter unterbrochen und belehrt, wie es den Krapfen essen sollte – und zwar halb in der Tüte, damit die Hände nicht klebrig würden. Das Kind erfüllte ihr Anliegen und wollte zum zweiten Mal in den Krapfen beißen, da rief die Mutter plötzlich: „Ne, nimm doch den ganzen Krapfen raus aus der Tüte, das sieht schöner aus. Ich mache ein Foto.“ Die Tochter nahm den ganzen Krapfen heraus, posierte für die Mama mit der Kamera mit dem bunten Gebäck und geöffnetem Mund, als würde sie gleich zubeißen. Die Mutter machte ein paar Bilder. Das Kind öffnete nach getaner Arbeit das dritte Mal den Mund, aber die Mutter sagte barsch: „Pack ihn wieder ein. Wir müssen aussteigen.“
Hä?, dachte ich mir. Wie gemein! Ist denn jetzt gar keine Zeit mehr für Genuss, sondern lediglich für die Präsentation? Besteht die Welt nur noch aus Requisiten, die der Inszenierung dienen? Nahrung fürs Netz? Hoffentlich durfte sie den Leckerbissen später wenigstens zu Hause in Ruhe essen, ohne vorher noch eine Captcha-Rechenaufgabe zu lösen, wie viele Streusel da jetzt drauf sind!
In meiner Auftrittswelt jedenfalls war es vor einiger Zeit genau andersrum. In einem Stück spielen eine Banane und ein Apfel aus Kunststoff mit. In den Apfel biss mal ein Kleinkind mit den ersten Zähnchen kräftig hinein, weil es dachte, es sei ein echter Apfel. Ich war mit anderen Kindern beschäftigt, und die Mutter war nicht schnell genug, ihr flinkes Krabbelkind aufzuhalten. Man kann noch kleine Bisspuren auf dem Apfel erkennen.
Wenn ich spiele, benutze ich jedenfalls die Requisiten, wie ich Lust habe, und ändere auch mal die Reihenfolge. Das hat damit zu tun, dass ich mich freispielen will, so dass es nicht so „gespielt“ gespielt wirkt. Ob es klappt, müssen andere sagen. Ich sehe mich ja nicht. Ich glaube auch, dass ich am besten spiele, wenn ich mich nicht gleichzeitig innerlich quasi von außen beobachte. Die Selbstvergessenheit im Spiel. Nicht einfach, wenn man auf der Bühne steht. Darum finde ich es auch so schön, Tiere zu beobachten oder Kinder beim Spiel. Ihr Agieren ist echt und vertieft. Ganz anders als so mancher Entertainer im Fernsehen.
In meinen beruflichen Anfängen hat mir mal ein Kollege, der auch fürs Fernsehen schrieb, Kritik zu meinem damals neuen Programm für Erwachsene gegeben. Er sagte, es sei ganz gut, aber die „Gagdichte“ sei zu gering. Heute weiß ich, dass mich der eine oder andere Gag, der mir einfällt, zwar erfreut, aber nicht so sehr entzündet wie die Komik. Der Unterschied ist nämlich, dass Komik entsteht. Das hat viel mit dem freien Fall ins Unbekannte zu tun, den man aushalten muss, und dem Urvertrauen ins eigene Selbst. Keine leichte Übung. Sie entsteht auch bei jedem Auftritt und jedem Text immer wieder neu. Wenn es gelingt, ist es wundervoll. Man muss bisschen was riskieren dabei, weil man die sichere Bank verlässt. Aber wenn ich diesen Moment bei anderen oder mir selbst erlebe, freue ich mich sehr. Und das ist es, was mich künstlerisch interessiert. Beim Schreiben und im Spiel.
Neulich habe ich mal spaßeshalber einen Witzegenerator getestet. Und ich glaube, die KI beißt sich gerade am Humor die Zähne aus. Es war kein bisschen lustig, sondern sehr holprig, was da rauskam. Vorher musste ich 3 + 2 zusammenrechnen. Habe ich gerade noch hinbekommen. Bei schwereren Aufgaben wie Prozente ausrechnen bin ich ja nicht so gut, aber zum Glück gibt’s Taschenrechner! Na ja, ich bin eben kein Roboter, sondern ein Clown.
Heute in der Bücherei beim Auftritt war es schön. Eigentlich genau wie es sein soll. Ganz sicher ohne Roboter im Publikum, auch wenn sie mir das vorher nicht schriftlich bestätigen mussten. Die Kinder waren zunächst zurückhaltend, später vorlaut, frech, lustig, engagiert, knuffig und lebensfroh. Als wir bei der Schatzsuche wie Haifische unsere Zähne zeigten, mussten zwei genau gleich angezogene Zwillingsmädchen plötzlich lachen. Sie hüpften dabei in die Luft, was doppelt lustig war, und wir alle lachten mit. Auch die Erwachsenen, denen ich kurz zuvor die Aufgabe gegeben hatte, Zähne zu zeigen wie ein Kredithai. Manche zeigten kichernd ihre Zähne, während andere etwas irritiert waren, dass ich sie einbezog. Na ja, war halt kein Kinderclub, wo man die Kinder abgibt und seine Ruhe hat. Für mich war es ein Raum voller Liebe und Fröhlichkeit. Ein bisschen auch eine Welt wie ich sie mir wünschen würde.
Leider gibt es bereits seit Jahrtausenden immer irgendwelche Weltbestimmer auf der Erde, die das anders sehen. Vermutlich weil in ihnen der Wunsch nach Macht einprogrammiert ist und auch Gefühlskälte gegenüber vielen Teilen der menschlichen Spezies. Und wer irgendwelche Machtmenschen „Clowns“ nennt, hat das Wesen von echten (!) Clowns, denen es um eine schönere und liebevollere Welt für alle Menschen geht, halt einfach nicht begriffen.
Und für das, was ich zu sagen habe, auf der Bühne oder anderswo, brauche ich sowieso keine Stellvertreter. Ich spreche, schreibe, fühle und denke nämlich viel lieber für mich selbst. Bin ja kein Roboter …