Eulen und Lerchen (30. Januar 2025)

Heute klingelte der Wecker viel zu früh. Schlaftrunken verließ ich mein kuscheliges Nest. Ich fuhr zu einem Kindergartenauftritt von Augsburg nach München. Die Kindergartenleitung hatte mich letztes Jahr bei der Aktion Lesestart in einer Bücherei für die Dreijährigen gesehen und mich dieses Jahr gleich für den ganzen Kindergarten gebucht. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen.

Noch etwas verträumt war ich dann gerade noch rechtzeitig beim Bahnhof, aber der Zug kam eh um einiges später. Alle atmeten erleichtert auf, als endlich die richtige Bahn nach München in den Bahnhof donnerte. Nachdem wir losgefahren waren, verkündete der Zugführer: „Halten Sie Ihre Laptops fest und setzen Sie sich am besten hin! Ich werde jetzt mit aller Kraft, die dieser Zug noch zu bieten hat, versuchen, die Verspätung wieder etwas einzuholen! Dadurch kann es etwas ruppiger werden als sonst.“ Am Ende der Fahrt verkündete der Zugführer, er habe drei bis vier Minuten reingeholt, und sagte zum Abschied: „Lasst euch nicht ärgern!“ Da lächelten ein paar Leute über die aufmunternden Worte, und ich dachte: Eigentlich ein ganz gutes Motto für den Tag und auch ganz generell in Zeiten der Empörungskultur.

Ich dachte, dass die Menschen – wenn man sich so umschaut – mit der herrschenden Zeit-Taktung, die für flächendeckenden Schlafmangel sorgt, nicht wirklich fröhlich wirken und einige auch ziemlich müde. Ich hege ja schon länger den Verdacht, dass vor langer Zeit die Frühaufsteher- Lerchen am Werk waren und für die Welt den alltäglichen Zeitplan vorgaben, während die Eulen nicht widersprechen konnten, weil sie noch friedlich schlummerten … Und seitdem hat keiner mehr Zeit, um nachzudenken, ob das frühe Aufstehen für alle gleich sinnvoll ist.

Mit diesen Gedanken im Kopf lief ich mit Sack und Pack zur Rolltreppe. Dort flog eine Taube so knapp über eine Frau hinweg, dass sie sich instinktiv duckte, was ich mit den Worten „Ui, das war knapp!“, laut in ihre Richtung gedacht, kommentierte. Manchmal sprechen meine Gedanken. Sie lächelte mich an, und ich lächelte zurück. Dann rollte ich meine Koffer in die U-Bahn-Unterwelt. Ein bis zum Anschlag gefülltes U-Bahn-Ungetüm fuhr ein und war so voll, dass die Gesichter der Menschen wie Fensterputzerfische im Aquarium an die Scheiben gedrückt wurden. Ich hatte Glück: Die U-Bahn entließ eine Frau mit schlafenden Kind im Kinderwagen. So zwängte ich mich samt meinem Gepäck zwischen zerknirschte und zerknautschte Menschen und Gepäckstücke, bevor die Tür laut piepend wieder zuknallte.

Eine Frau schimpfte wie ein Rohrspatz auf Bairisch: „Des wiad allaweil deirer und da Service allaweil schlechta!“ Als niemand reagierte, überlegte ich kurz: Ob ich das vielleicht ins Hochdeutsche übersetzen sollte? Ich stellte dann allerdings fest, dass die Leute, mit denen sie gesprochen hatte, allesamt Kopfhörer trugen und es so wahrscheinlich vergebene Liebesmühe gewesen wäre, die Dolmetscherin zu spielen. Als ich endlich am Zielbahnhof Milbertshofen in der Nähe des Kindergartens war, setzte ich mich kurz auf die Bank, um durchzuatmen, dann fuhr ich mit dem Lift ins Zwischengeschoss. Da lag eine in Decken gewickelte Person ohne eigenes Bett und schlief. Ich spürte, wie Mitgefühl in mir aufstieg, weil jemand auf einem so kalten Boden schlafen musste.

Als ich aus der Unterwelt mit der Rolltreppe nach draußen fuhr, war es taghell geworden, und ich lief ein Weilchen zum Auftrittsort. Erfrischt von der kühlen Luft traf ich im Kindergarten ein und klingelte bei der Kindergartengruppe „Gorillas“. Da steppte bereits der Bär, und ich baute im Ruheraum unter einem Traumfänger meine Sachen auf. Ich glaube, es gibt nichts Hellwacheres auf der Welt als Kinder, die sich auf etwas freuen. „Die Kinder sind aufgeregt!“, teilte mir eine Kindergärtnerin mit. Und während ich mich schminkte, sangen die Kinder mit einer Kindergärtnerin im Nebenraum „Wenn Clown Forelli spielt und singt und groß und klein zum La(hahaha)chen bringt!“

Ich hoffte, dass sie nicht enttäuscht wären, wenn heute Glucks zu ihnen kam und nicht der lustige Forelli. Aber als ich auftrat, erschien es mir nicht so, und ich spielte „Die Geschichte vom Meer“, und die Kinder glucksten, kicherten und schauten mir mit wachen, neugierigen Augen zu. Als ich sie an der entsprechenden Stelle fragte, als was ich mich verkleiden könne, damit sich die Haifische vor mir fürchteten und nicht ich mich vor ihnen, rief ein schlagfertiger kleiner Junge: „Als Mister Bean!“ Das fand ich eine tolle Idee, hatte nur leider nicht das passende Kostüm zur Hand. Aber Piratin fanden die Kinder auch in Ordnung, und so ging die Geschichte weiter. Am Ende lösten wir noch jede Menge knifflige Aufgaben. Die letzte, bei der wir uns in eine Menschenketten- Seeschlange verwandelten, führte uns zum Schatz. Ein Kind schenkte mir zum Abschied ein Bügelperlenbild und ein halbausgemaltes Schmetterling-Ausmalbild. Das fand ich sehr nett.

Als ich mich abschminkte, las ich in der Toilette der Erzieherinnen einen Spruch: „Ruhe ist was Schönes, außer man arbeitet mit Kindern, dann ist sie verdächtig.“ Da musste ich schmunzeln. Und ich denke, gegen das kollektive Ärgern sind Humor, genug Schlaf, genug Essen und Pausen doch das, was eindeutig am besten hilft.

Und so gönnte ich mir pünktlich wie die Maurer oder die Kindergartenkinder um Punkt zwölf Uhr eine kleine Pause samt Snack, bevor ich mich auf die Heimreise machte und im Zug diese Zeilen meines Tagewerkes für euch niederschrieb.

 
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