Blind date (7. September 2024)

Jeder Auftritt an Orten, wo ich vorher noch nie war, ist ein bisschen wie ein Blind Date. Ich versuche zwar im Vorfeld das meiste abzuklären, aber ich weiß nie, wie es wird, bevor ich es nicht selbst erlebt habe. Es ist also immer wieder aufregend.

Ein Blind Date war das heute außerdem auch deshalb, weil meine neuen Tageskontaktlinsen nicht rechtzeitig geliefert wurden und ich nur noch zwei statt vier für Samstag und Sonntag besaß. Ich beschloss sie aufzuteilen: eine statt zwei pro Tag, und ein Wochenende einäugig unterwegs zu sein. Als halbblinder Passagier reiste ich mit Bahn, S-Bahn und Tram zu meinem heutigen Arbeitsplatz aufs Isarinselfest. In der völlig überfüllten Bahn setzte ich mich auf den kleinen Stuhl, der in meinem Stück mitspielt, und konnte so nach dem Fußweg mit dem vielen Gepäck vom Requisitenlager zum Bahnhof ein wenig durchatmen.
In München an der Isar auf der Praterinsel angekommen, begrüßte mich gleich eine nette Familie: „Hallo Glucks, wir freuen uns schon auf deinen Auftritt!“, und dann habe ich mich auch gefreut. Sonst waren jede Menge Erwachsene da, und ich hoffte, dass zu meiner Vorstellung noch viele Kinder kommen würden. So war es auch – besonders nette Kinder noch dazu, wie sich während der Vorstellung der „Geschichte vom Meer“ auf einer kleinen, schattigen Bühne herausstellte. Meine heutige Lieblingsstelle war die, wo ich als ängstliche Piratin mit Augenklappe vor mir selbst erschrecke. Ich hatte das falsche Auge zugeklappt und sah plötzlich noch weniger als vorher … Clown wird man nicht, Clown ist man.

Danach war ich mit dem gleichen Programm noch bei einer Einschulungsfeier gebucht. Dort wurde ich von der S-Bahn abgeholt. Die Mutter, die mich für den Auftritt engagiert hatte, fragte in einer Textnachricht, wie sie mich am Bahnhof erkennen könne. Ich antwortete, ich sei bereits geschminkt und hätte einen Wagen mit einem alten Koffer und zwei Stühlen dabei. Sie schrieb zurück: Unser Patenonkel wird dich abholen. Er ist ohne Haare und nicht geschminkt. 

Ich dachte kurz an den miesepetrigen Wawuschelonkel aus einem Kinderbuch, dem vor lauter Griesgram die wertvollen grünen, leuchtenden Haare ausfallen, wodurch die dunkle Wawuschelhöhle, die kein elektrisches Licht hat, immer dunkler wird, weswegen er den ganzen Tag schimpft und grummelt. Hoffentlich war das nicht so einer! Solche Menschen sitzen manchmal nämlich tatsächlich im Publikum, und man fragt sich, ob die überhaupt schon jemals in ihrem Leben gelacht haben.

Aber dann holte mich doch der Vater ab. Wir erkannten uns gleich und fuhren zum Auftritt. Er war sehr nett und kein bisschen miesepetrig. Später lernte ich auch den Patenonkel kennen. Er hatte ein schelmisches Lächeln und zwinkerte mir mit einem Auge zu. Ich war mir sicher, er war nicht mit dem Wawuschelonkel verwandt! Er hatte für mich eine Terrasse als Bühne geplant. Und so spielte ich auf einer schönen, kleinen Holzterrasse für Kinder, Verwandte, Nachbarn und Freunde der Familie, die im Garten saßen.

Mir begegneten heute bei der Einschulungsfeier und beim Isarinselfest viele nette Menschen, die ich alle ins Herz schloss. Und bei einigen Kindern spürte ich es ganz deutlich: Es war Liebe auf den ersten Blick
Wie heißt es so schön im „kleinen Prinz“: „Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“

 
Zurück | Seite neu laden | Lesezeichen einfügen | Drucken | Link emailen
^
Close MenuCLOWNESS Theater