Schlechte-Laune-Reaktionskette (6. März 2024)

Gestern war ich in einer Förderschule gebucht. Eine Kundin, die mich noch von ihrer vorherigen Arbeitsstelle kannte, hatte erneut angefragt. Das hat mich gefreut. So radelte ich also ich in der Früh in mein Requisitenlager und wurde durch lautes Hupen eines Autofahrers aus meinen morgendlichen Gedanken gerissen. Mein Vergehen war meine bloße Existenz. Der Radweg endete abrupt, und so bin ich ein kleines Stück auf der Straße gefahren. Das hat den Autofahrer empört, weil er deswegen wenige Meter hinter mir etwas langsamer fahren musste.
Bei der Ankunft vor meinem Lager habe ich mich dann ebenfalls geärgert. Die neue Abstellmöglichkeit für Fahrräder war durch querstehende Lastenräder, Kinderräder und Kinderspielzeug so zugestellt, dass ich mein Rad nur so hinstellen konnte, dass der Sattel bei dem angekündigten Regen am Nachmittag nass werden würde. Aber ich setze zum Glück die schlechte-Laune-Reaktionskette nicht fort und klingelte nicht wütend und schimpfend mit meiner Fahrradklingel.
Plötzlich war ich mir ziemlich sicher, dass fatale Entscheidungen in der Weltpolitik auf schlechte Laune, die unkontrolliert weitergegeben wird, zurückzuführen sind – fehlende Impulskontrolle!
Ebenfalls anstrengend finde ich allerdings diese gespielte gute Laune, die sich manchmal bei Kinderveranstaltungen breitmacht. Nur weil das Publikum noch etwas kleiner ist, ist es deswegen ja noch lange nicht blöd! Einmal wurde ich von einem Gespielte-gute-Laune-Moderator mit seltsam verstellter Stimme so angekündigt: „Ja, wo ist der Clown, liebe Kinder? Ui ui ui, ja, da ist ja der lustige Clown! Ja, seht ihr denn schon den Clown? Ja, wo ist der Clown? Ui ui, da ist er ja, der Clown!“ Der aus Funk und Fernsehen bekannte Mann wollte sich dann auf der Bühne mit mir auch noch so gespielt künstlich „unterhalten“, wobei er überwiegend über mich und nicht mit mir sprach. Was genau er geredet hat, weiß ich nicht mehr. Nur dass er ständig das Wort „witzig“ verwendet hat, die Situation aber alles andere als witzig war. Mir jedenfalls war dieser Gute-Laune-Modus des Moderators ziemlich peinlich. Blöderweise stand ich auf der Bühne und konnte nicht unbemerkt weg. Und wie heißt es so schön: Anfang der Vorstellung verkackt – Vorstellung verkackt. Aber aus Fehlern lernt man ja bekanntlich, und so versuche ich bis heute die Moderation, wenn ich eine habe, immer gut abzusprechen.
Als ich beim Auftrittsort in der Turnhalle ankam, traf ich – wie sollte es anders sein – auf einen mürrischen Hausmeister. Jede Schulvorstellung steht und fällt mit der Laune eines Hausmeisters, daher muss man zu ihnen besonders nett sein. Alte Clownsweisheit. Ähnlich wie einem Schulkind erklärte er mir erst einmal, was wir heute alles nicht machen durften! Er habe zwar eine Bühne, eine ziemlich gute, die auch sehr schnell aufgebaut werden könne – aber leider nicht in der Turnhalle! Ist Vorschrift. Und der Auftritt konnte nur in der Turnhalle stattfinden. Ebenfalls Vorschrift! „Schade“, sagte ich, „mit einer Bühne hätten die Kinder nämlich besser sehen können!“
Immerhin durfte ich ein grimmiges Schild abhängen, das hinter meiner Spielfläche an der Wand hing. Ich fragte, ob es aus der Corona-Zeit stamme und vergessen worden sei. Er sagte: „Ja, wahrscheinlich!“ Später kam er dann mit etwas besserer Laune zu mir und meinte grinsend: „Das Schild ist gar nicht aus der Corona-Zeit, das hängt da immer, damit die Kinder nicht an die Geräte gehen. Habe ich ganz vergessen.“ Na ja, das war wenigstens eine Begründung, und so versprach ich, das grimmige Schild nach der Vorstellung wieder aufzuhängen.
In meiner Garderobe wurde ich noch kurz nacheinander von zwei Lehrerinnen vorgewarnt. Es könnte heute recht turbulent werden, weil viele unruhige Kinder mit starken Beeinträchtigungen dabei seien. Und so kam es auch: Der Geräuschpegel im Raum war hoch. Ich war unverstärkt und musste daher ziemlich laut sprechen. Es gab Kinder, die plötzlich aufsprangen und umher liefen. Ein Mädchen kam kurz auf meine Spielfläche gelaufen, um mir aus der Nähe noch mal „Hallo, hallo!“ zu sagen. Das fand ich sehr freundlich. Dann setzte sie sich zu den anderen ins Publikum und schaute mir gespannt zu.
Interessanterweise wurden die Kinder im Laufe der Vorstellung nicht unruhiger, sondern konzentrierter. Viel gelacht haben sie auch. Nach dem Auftritt bekam ich die Rückmeldung, dass ein Mädchen, das nicht spricht und von dem niemand weiß, ob und was sie überhaupt verstehen kann, sich während der Vorstellung mit dem ganzen Körper gefreut habe. Dann kam noch eine Physiotherapeutin der Schule, die auch im Publikum war, und erzählte, wie positiv sie die Reaktionen einiger Kinder wahrgenommen hat. Und dass ihr bei der Vorstellung selbst das Herz aufgegangen sei. Wie schön!
Eine geschätzte Kollegin hat ja neulich geschrieben, dass es beim Kindertheater im Grunde genommen zwei Vorstellungen gibt: eine auf der Bühne und eine, die im Publikum stattfindet. Da ist wirklich was dran. Ich erinnere mich an eine lustige Publikumsreaktion vor vielen Jahren in unserem Stück „Alle Kinder haben Recht(e)!“ Das war ebenfalls in einer Förderschule. Ich muss immer noch schmunzeln, wenn ich daran denke: Nachdem wir den Kindern am Ende mit einem Pamphlet die Kinderrechte erklärt hatten, stand plötzlich ein älteres Kind auf und sagte: „Ja ja, und Rauchen gefährdet die Gesundheit!“
Das finde ich bis heute ziemlich lustig, auch weil unser vielleicht etwas zu belehrender Teil so herrlich karikiert wurde! Von einem Kinderpublikum kann man ziemlich viel lernen, wenn man ihm zuhört.. Zuhören wäre sowieso ein ziemlich sinnvolles Schulfach. Nicht nur die Kinder den Lehrern, sondern auch die Lehrer den Kindern. Theater an den Schulen könnte zudem helfen, die Schlechte-Laune-Reaktionsketten des Schulalltags zu durchbrechen. Bei den Kindern, den Lehrkräften und den Hausmeistern!
Und wenn wir alle mehr Freude haben, lernen wir auch alle mehr. Eh klar. Diese Gedanken hatte ich, als ich abends in meinem Lager ankam. Der nasse Sattel war dann auch schon egal, denn gerade als ich losfuhr, begann es in Strömen zu regnen. Aber der Regen machte mir nichts aus, und ich radelte patschnass, aber doch ganz zufrieden nach Hause.