Arm und reich (4. August 2024)

Gestern bin ich früh aufgestanden und mit dem Zug nach Ingolstadt gefahren. Auf dem Bahnsteig bot ich einer älteren Dame den mit meinen Requisiten vollgestellten Sitzplatz an. Sie sagte: „Ne ne, ich will nur zu die Bierflaschen.“ Und tatsächlich: Hinter dem Sitz in der Ecke standen drei leere Bierflaschen, die sie einsammelte und in ihre Taschen packte.
Wir spielten beim Sommerfest der Straßenambulanz St. Franziskus in Ingolstadt. Wir sind dort schon seit vielen Jahren zu Gast, und es ist immer wieder schön zu erleben, wie durch die Fürsorge weniger Menschen (Bruder Martin und sein kleines Team) ein Ort mit so viel Wärme gefüllt werden kann. Bei einem unserer ersten Besuche erklärte mir Martin, wie wichtig es ihm sei, dass die Straßenambulanz mitten in der Stadt ist und nicht irgendwo am Rand, wo die „Randfiguren“ der Gesellschaft gerne hingebracht werden. Es brauche eine zentrale Anlaufstelle, wo sich obdachlose Menschen hinwenden können. Er und sein Team kümmern sich um Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Das ganze Jahr und auch an Feiertagen.
Die Auftritte heute waren ein großes Fest mit einem Jongleur, der versehentlich als Zauberer angekündigt war, einer Band und uns. Wir haben gesungen, geplaudert und getanzt. Es war schön!
Durch meine Arbeit gelange ich in unterschiedliche Lebenswelten und auch an ziemlich gegensätzliche Orte … Ich war auch schon an Orten, wo Menschen leben, die sehr reich sind und sehr viel Raum für sich haben. Ich erinnere mich an die Ferienvilla einer wohlhabenden Familie, die so viel Personal hatte wie ein großes Hotel. Es gab dort Bedienstete mit weißen Handschuhen. Ja tatsächlich kein Scherz, es war wie in einem alten Film.
Ich spielte damals mit einem Kollegen, und als der Auftritt beendet war, lief der Hausherr mit einem Geldbündel zu meinem Kollegen. Der Bedienstete mit den weißen Handschuhen schaute zu. Mein Kollege schüttelte den Kopf und antwortete: „Ne ne, sie kriegt das Geld, sie ist die Chefin!“ Und zeigte auf mich. Der Hausherr schaute irritiert, lief durch den ganzen Raum zu mir und wollte mir die Scheine geben, aber ich dachte an meinen niedrigen Kontostand und sagte: „Ah ne, ich bräuchte es aufs Konto. Ich schicke dann eine Rechnung.“
So packte der Hausherr unverrichteter Dinge das Geld wieder ein. Ich sah, wie der Bedienstete seine weißen Handschuhe vor den Mund hielt und kicherte. Es sah bestimmt lustig aus, wie der Reiche mit seinem Geld durch die Gegend lief und niemand es annehmen wollte. Aber keine Sorge, so viel war es auch nicht, denn der Reiche muss oft sparen, um noch reicher zu werden. Der Hausherr bedankte sich, und seine Tochter kam mit ihrer Nanny angerannt und rief: „Besuche mich bald wieder!“ Sie schenkte mir ein Bild, das ich gerne annahm.
Wir verließen den Spielort. Der Bedienstete lief uns grinsend hinterher und hielt mir die Tür des Autos auf, so wie er es auch bei allen feinen Gästen getan hatte. Die natürlich alle standesgemäße Autos hatten. Wir mussten unser Auto draußen parken und sollten es nur zum Einladen wieder aufs Gelände bringen. Der Mann mit den weißen Handschuhen zwinkerte mir zu, und wir wußten: Auch wenn wir in völlig verschiedenen Welten leben, es gibt Momente, die einfach lustig sind.
Und wenn ich spiele, spielt es für mich keine Rolle, ob Menschen reich oder arm sind (oft weiß ich das gar nicht), obdachlos oder in mehreren Häusern sesshaft. Es geht mir um lustige und liebevolle Begegnungen, die es überall gibt. Und auch wenn ich nicht in Reichtum hineingeboren wurde oder eine Karriere vom Tellerwäscher zum Geldwäscher hingelegt habe und daher stets Geld brauche, gibt es zahlreiche Momente, die man nicht bezahlen kann. An manchen Orten spürt man sie besonders. Sie kommen aus dem Herzen und dem tiefen Verständnis, dass die Würde des Menschen unantastbar ist.