Bürokratischer Geistesblitz (1. Oktober 2024)

Letzte Woche hatte ich einen bürokratischen Geistesblitz. Kommt selten, aber doch manchmal vor. Es gab bis Ende September eine Antragsmöglichkeit beim Kulturfonds Bayern für eine Förderung für ein neues Stück. Habe überlegt, da was einzureichen. Wäre der zweite Versuch gewesen, unser Schubladenstück aus der Schublade zu befreien. Allerdings kann man nur dreißig Prozent der Gesamtsumme beantragen, den Rest muss man von irgendwo anders herbeizaubern. Ich habe einiges an Vorarbeit gemacht: Termine, Telefonate, Tabellen, Formalitäten geklärt. Ich hatte auch ein angenehmes Gespräch mit der zuständigen Sachbearbeiterin. Das Problem ist, daß es schwer für uns wäre, die restlichen siebzig Prozent aufzutreiben. Die Eigenleistung (unbezahlte Arbeit) darf auch nicht hoch sein, was im Prinzip ja gut ist. Aber auch wenn wir zusätzlich vom Kulturamt der Stadt Augsburg einen kleinen Zuschuss bekämen, reicht es noch nicht.
Ob wir den Rest über Gastspiele in Schulen auftreiben können? Eine Lehrerin einer Schule meinte neulich, ihnen würden öfter Gelder für irgendwelche Digitalisierungsprojekte angeboten, die sie in der Form und Höhe gar nicht brauchen. Für einen Zuschuss – zum Beispiel zu einer Theatervorstellung – gibt es jedoch viel zu wenig Finanzierungsmöglichkeiten, obwohl das sehr praktisch, sehr konkret wäre und nicht viel kosten würde. Manchmal denke ich: Je größer die Summen, umso unsinniger sind oft die Ausgaben, und es scheint auch egal zu sein, für was sie verwendet werden und ob das alles überhaupt sinnvoll ist. Das sieht man in Augsburg auch an der Baustelle der Staatstheatersanierung, die ein Fass ohne Boden zu sein scheint. Im Kleinen fehlt es jedoch an vielen Stellen.
Aber apropos Digitalisierung: Beim Antragsportal hatte ich gleich zu Beginn technische Probleme. Ich konnte mich nicht einloggen, weil ich da bereits ein Konto habe, das aber nicht das richtige Konto ist – so die Fehlermeldung. Und für den Fall, dass ich es löschen würde, kamen so viele Warnungen, dass ich das Gefühl hatte, danach nie wieder Zugriff auf irgendetwas in meinem Leben zu haben, weshalb ich ein klein wenig zögerte.
Ich habe versucht, „Bavaria, Ihre digitale Assistentin“ um Rat zu fragen, die mir daraufhin eine Auswahl an möglichen Fragen vorschlug (siehe Bild), darunter: Ob ich einen Sprengstofferlaubnisschein beantragen möchte? Bitte was?!
Ich habe auf ihre künstlich intelligente Reaktion „Konnte ich Ihre Frage nicht beantworten?“ ein verärgertes „Nein!“ in die Buchstabentasten gehauen, was sie jedoch vermutlich nicht davon abhalten wird, weiterhin ihre einprogrammierten Kenntnisse zu äußern.
Und dann habe ich per Hotline mit drei Mitarbeitern telefoniert, bis zur höchsten Dienststelle, um zu erfahren, daß es niemanden gibt, der das Problem lösen kann. Der letzte freundliche Herr äußerte die gleiche Vermutung wie ich selbst: das Konto zu löschen – aber ohne Gewähr! Das habe ich dann doch getan, um mich endlich einzuloggen und zu sehen, wie viel Arbeit noch auf mich zukommt …
Und da frage ich mich:
Warum muss das alles so kompliziert sein?
Bin ich Künstlerin geworden, um mich zu fragen, ob die Person, die diese Webseite programmiert hat, selbst einen solchen Antrag stellen musste? Oder hat sie den Auftrag einfach so bekommen und sich kurze Zeit später auf eine einsame Insel abgesetzt, um nie mehr erreichbar zu sein, wenn es Probleme mit der Webseite gibt?
Und nachdem ich die letzte entscheidende Frage: „Bin ich Künstlerin geworden, um mich an der deutschen Bürokratie abzuarbeiten?“ mit „Nö!“ beantwortet hatte, stellte ich mir daraufhin die Frage, ob ich in Bezug auf den Antrag am besten einfach folgendes tue: nichts!
Ich könnte mich auf die anstehenden Auftritte fokussieren. Ich könnte spielen und schreiben. Ich könnte das tun, was ich gerne tue. Ich könnte die Möchtegern-Bürokratin – die ich eh nicht bin, sondern nur aus Notwendigkeit ab und zu spielen muss – fristlos entlassen. Sie könnte sich dann mit Bavaria, ihrer digitalen Assistentin, und dem Webseitenprogrammierer auf der einsamen Insel ein schönes Leben machen. Ich würde sie nie mehr mit Fragen und Excel-Tabellen quälen und hätte ein feines Leben. Ach, das wäre so schön!
Jetzt müsste nur noch das Geld für ein neues Stück vom Himmel fallen! Allerdings weiß ich, dass es realistischer wäre, Kohle für ein sanierungsbedürftiges Luftschloss bei der Baubehörde oder ein Digitalisierungsprojekt für Aliens aus der Schule der Fantasie zu beantragen …
Aber ich bin ja Künstlerin geworden, um von einer schöneren Welt zu träumen.
Das Telefon klingelt. Ich erwache aus meinen Tagträumen. Die Sachbearbeiterin hat Bauchschmerzen mit unserer Tabelle mit den siebzig Prozent. Sie hat sie sich netterweise schon mal angeschaut. Können wir wirklich so viel mit Einnahmen aus Gastspielen generieren? Sie weiß ja von anderen freien Theatern, wie schwer es ist, von Schulen und Kindergärten Einnahmen zu erzielen … Ich gebe zu, dass ich auch unsicher bin, ob das gelingen kann, dass ich aber keine andere Möglichkeit sah, als über Gastspiele die nötige Summe für die Tabelle zusammenzukratzen. Wir beschließen, den Antrag aufs nächste Jahr zu verschieben. Vielleicht findet sich bis dahin noch eine weitere Geldquelle. Wenn es woanders aus dem Fenster geschmissen wird, müssen wir es ja vielleicht nur auffangen? Es war ein gutes Gespräch, auch wenn ich mal wieder das Gefühl habe, nicht wirklich hineinzupassen ins System. Wir werden sehen, ob meine Möchtegern-Bürokratin dann doch noch mal von der einsamen Insel zurückkommen muss … Hoffentlich hat sie sich nicht in den Webseitenprogrammierer verliebt!
Aber intern machen wir schon Witze, ob unser neues Stück vielleicht doch eher ein Stück wird, in dem es darum geht, wie wir zu einem neuen Stück kommen, ohne es jemals zu schaffen. Eine Lesung auf einer Baustelle vielleicht? Davon gibt’s ja genug in Augsburg. Ohne Requisiten. Ohne Bühnenbild. Ohne Regie. Ohne Audioproduktion. Nur zwei Personen. Nein, noch besser: Wir kürzen die ebenfalls weg! Nur eine Person! Und wenn das immer noch nicht reicht, sparen wir einfach an den Buchstaben im Text für die Lesung. Und auf die Frage: „Und was macht ihr so beruflich?“ antworten wir dann: „Knst!“ – „Bitte was? Ihr müsst in den Knast?“ – „Nein, wir machen Knst, für Kunst hat das Geld nicht mehr gereicht!“ Dieses sicherlich lustige Projekt hinter Baustellengitterzäunen inmitten von lauter Betongold würde aber wahrscheinlich an der nötigen Genehmigung, auf einer Baustelle zu spielen, scheitern. An der deutschen Bürokratie kommt niemand vorbei, nicht mal ein Clown.