Was macht Kultur relevant? (25. Juli 2024)
Was macht Kultur relevant? Ich denke, eine treibende Kraft ist der Zweifel. Neulich sah ich bei einem Freund einen Post mit einem Bild. Gesprayt auf eine Wand stand da zu lesen: „Question everything!“ Und direkt darunter: „Why?“ Hat mir gefallen.
Es ist jedoch nicht leicht, in der heutigen Zeit der sogenannten Faktenfüchse das Bestehende anzuzweifeln. Das Wort Fakt oder Faktum kommt aus dem Lateinischen und bedeutet „das Gemachte“. Derzeit wird öfters ein Zitat von Dunja Hayali geteilt: „Jeder kann eine eigene Meinung haben. Nicht aber eigene Fakten.“ Mich stört dieser Satz, weil er den Zweifel untergräbt und behauptet, bestimmte Thesen, die von ihr (?) oder anderen als Fakten (das Gemachte) definiert werden, dürfe niemand anzweifeln. Wer definiert denn überhaupt, was Fakten sind? Ich sehe die Gedankenpolizei bereits vor mir. Ich denke auch, daß es bei diesem Satz vor allem um Deutungshoheit geht, sonst wäre man ja bereit, Argumente zuzulassen, allein aus Neugier.
Wenn Zweifel(n) nicht mehr erlaubt ist, was macht Kunst dann überhaupt noch relevant?
Wenn ich aus Angst vor dem Vorwurf, das Bestehende anzuzweifeln, mich lieber nicht äußere, ist das Selbstzensur. Gleichzeitig stelle ich mir die Frage, ob sich die sozialen Medien dazu eignen, Zweifel zu formulieren. Andererseits ist das nun mal auch ein Raum, in dem wir uns begegnen.
In meinem Fachgebiet, dem Humor, ist mir schon länger aufgefallen, dass gerne das, was die Mehrheit sagt, humorvoll verstärkt wird und die Comedians, die das tun, sich großer Beliebtheit erfreuen. Ich nenne das Systemhumor oder systemstabilen Humor. Es werden nicht Regeln und Konventionen in Frage gestellt, sondern sich im Gegenteil über jene lustig gemacht, die sie brechen, kritisieren oder in Frage stellen. Man kritisiert nicht die Herrschenden, sondern die Schwächeren. Welches Ausmaß das annehmen kann, habe ich die letzten Jahre erlebt. Ein stellvertretendes Beispiel ist Sarah Bossetti: Es machte mich damals fassungslos, als sie einen Teil der Gesellschaft als Blinddarm bezeichnete. Sie scheint für ihre Arbeit Feindbilder zu brauchen. Und das in einem Ausmaß, mit dem ich nicht einverstanden bin. Neulich hat sie einen Satirepreis erhalten.
Die gängige Meinung sowie Konventionen zu hinterfragen, ist für mich beruflich betrachtet schon immer ein spannendes Thema. Dafür braucht es den Zweifel an der bestehenden Ordnung. Jetzt leben wir in einer Zeit, wo man medial sehr schnell gemaßregelt wird. Von Freunden in sozialen Medien. Es ist nicht schön, gemaßregelt zu werden. Und was man in seiner „Timeline“ zu sehen kriegt, ist wiederum abhängig von Algorithmen, die ebenfalls auf eine bestehende Ordnung zurückgreifen – die wir aber nicht kennen und nicht durchschauen. Soziale Medien können mittels Reichweitendrosselung (Shadowbanning) die Meinung der Nutzer stark beeinflussen. Auch auf diese Weise kriegen wir vermittelt, was scheinbar Fakt ist, worüber wir uns äußern dürfen und worüber besser nicht.
Auch durch die Kommentare der anderen lernt man, was gesagt und was nicht gesagt werden darf. Traut sich jemand, Zweifel an der herrschenden Meinung zu äußern, und erntet dafür viel Kritik, dann behalten andere ähnliche Zweifel vielleicht lieber für sich. Das gilt allerdings ebenso andersherum.
Ich denke, in diesen „geradlinigen“ Zeiten brauchen wir wieder mehr Lust und Freude am Zweifel, auch im digitalen Raum. Wir sollten alles anzweifeln und uns dafür nicht gegenseitig „bestrafen“, sondern eher verstehen oder erst mal zuhören. Wenn nämlich nicht mehr gesagt oder geschrieben wird, woran wir (ver)zweifeln, können wir den Zweifel der anderen, der einen ja instinktiv bei manchen Themen ergreift, nicht nachvollziehen. Wenn wir als Gesellschaft den Zweifel zulassen, kann dieser zum Verständnis Andersdenkender viel beitragen.
Denn falls eines Tages alle nur noch das gleiche sagen, die gleichen Witze machen, die gleichen Zitate und Bilder teilen, wäre die Welt doch sehr langweilig. Ich stelle mir eine große Gruppe Menschen vor; alle tragen ein Schild mit der Aufschrift „Ja“. Dazwischen steht eine Person und trägt ein Schild, auf dem steht. „Nö“. Und falls ihr genauer hinschaut und diese Person eine rote Nase trägt, dann bin das vielleicht sogar ich. Ich mag den Zweifel, auch den Sinn im Unsinn. Und ich mag es, anderen beim lauten Denken und Zweifeln zuzuhören. Obwohl ich den Eindruck habe, damit ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein.