Das Schubladenstück (21. September 2024)
Schade: Das mit der Projektförderung für ein neues Kinderstück hat für uns leider nicht geklappt. Die Jury hat sich für andere Produktionen entschieden. Jetzt muss es wohl in der Schublade bleiben und kann nicht das Licht der Welt erblicken. Ein Schubladenstück.
„He, ich lass mich doch nicht einfach in eine Schublade stecken!“, schimpft es plötzlich aus meiner Schublade. „Auch nicht von irgendwelchen Juroren, die mich gar nicht verstanden haben. Ich bin kein Schubladenstück! Mein vielversprechender Arbeitstitel war ‚Der geheimnisvolle Briefkasten‘!“
„Psst“, antworte ich, „nicht so laut – andere lesen hier mit! Das war übrigens eine hochkarätige und neu besetzte Jury, die werden schon wissen, wer die innovativsten Stücke eingereicht hat! Und das waren eben nicht wir!“ Aus der Schublade kommt ein ärgerliches Schnauben: „Innovativ. Pah! Innovativ ist mein zweiter Vorname. Innovativ heißt übrigens neu. Und ich bin nagelneu, also ich wäre ja komplett neu geschrieben worden, und jetzt soll ich hier in der Schublade versauern. Unmöglich! Ich mache da nicht mit!“
Ich antworte: „Du bist nicht ausgewählt worden und daher jetzt eben ein Schubladenstück. Wir sollten den anderen gratulieren und uns nicht beschweren! Das ist eben so. Außerdem hatten wir doch eh keine guten Chancen, weil es ein Clownstück geworden wäre.“ Zornig tönt es aus der Schublade: „Du kannst alleine gratulieren, ich mag nicht gratulieren. Und warum haben Clowns bitte keine Chancen?“ „Das weiß ich auch nicht, das wurde uns nur schon des öfteren zugesteckt von Leuten, die es gut mit uns meinen.“ Aus der Schublade höre ich ein Gepolter und Geraune: „Sag mal, geht’s noch?! Und warum haben wir uns dann die ganze Arbeit gemacht? Und was ist mit Chancengleichheit?“
„Das weiß doch jeder, daß die nur auf dem Papier gilt“, sage ich. Die Antwort lässt nicht auf sich warten: „Na hör mal, ich bin ja wohl aus Papier! Aus sehr feinem, quasi handgeschöpftem Papier. Die haben wohl gar nicht verstanden, wie lustig und innovativ Clowns sein können! Und unser Thema erst! Die wissen doch gar nicht, wovon sie sprechen! Schau, was ich nur aus Papier machen kann!“ Ein Papierflieger kommt aus der Schublade geflogen. Dann ein Boot. Und dann ein Hut. Ich seufze: „Das ist ja ganz nett, dass du Papier falten kannst, aber wir haben eben nicht den Geschmack der Jury getroffen. So ist das Leben. Es ist bestimmt nicht ganz einfach, eine Wahl zu treffen. Und sicher auch eine Frage des Zeitgeistes …“
In der Schublade rumpelt und rumort es. „Was machst du denn jetzt da drin?“ Das Schubladenstück antwortet: „Ich schreibe eine Beschwerde!“ „Eine Beschwerde?“ „Ja. Wir müssen das System ändern, das funktioniert so nicht. Das ist weder innovativ noch fair.“ „Und was schlägst du vor?“ „Wir brauchen ein Losverfahren, keine Jury! Dann darf jeder mal. Also, wenn man professionell ist.“ „Hm, aber da kann man ja auch Pech haben.“ „Ja, aber dann können wenigstens alle gleich viel Pech haben. Nicht nur ich.“ „Ich weiß nicht recht … Es sind bestimmt nicht nur wir nicht ausgewählt worden.“
Aus der Schublade klingt es nun weinerlich: „Können wir mich nicht trotzdem einfach schreiben und spielen? Bitte, bitte! Das wäre doch so ein spannendes Thema. Und es gab schon einige Interessenten, die mich buchen wollten, mit tollen Referenzschreiben.“
„Ja, ich weiß. Aber für ein neues Stück brauchen wir doch Geld!“
Die Schublade knarzt zerknirscht: „Ja, ja, immer dieses doofe Geld. Dann spielen wir eben Lotto. Vielleicht haben wir da mehr Glück?“ Ein Lottoschein fliegt aus der Schublade. „Ich spiele kein Lotto. Da ist unsere Chance zu gewinnen noch viel geringer.“
„Dann schreib wenigstens auf, was ich dir soeben gesagt habe!“
„Okay.“
„Gut. Und dann schau noch, ob du nicht von woanders Knete für mich herbekommen kannst! Es geht hier schließlich um ein künstlerisches Werk, wenn nicht sogar um ein …“ (längere Denkpause) „… ein Meisterwerk!“
Ich muss lachen: „Na ja, jetzt übertreibst du aber ganz schön!“
Schublade: „Einer muss ja noch von mir überzeugt sein. Wenn es die Jury nicht ist und du es plötzlich auch nicht mehr bist, dann bin ich es eben selbst!“ Beleidigt schnappt die Schublade zu.
Ich: „Jetzt sei nicht eingeschnappt. Die Ideen haben mir schon gut gefallen.“
Aus der Schublade kommt eine zerknüllte Excel-Tabelle geflogen, dazu ein Grummeln: „Das war so viel Arbeit und alles für die Katz! Alleine dieser ganze Zahlensalat …“ „Stimmt“, seufze ich. „Ach, liebes Schubladenstück, es wäre so schön gewesen, mal aus dem Vollen zu schöpfen und nicht so viel unbezahlte Zeit hineinzustecken, wie bei fast allen anderen Stücken …“
Aber während ich diesen fiktiven Dialog mit meiner Schublade schreibe, weiß ich: Eines Tages wird dennoch Neues entstehen.
Irgendwann. Irgendwie. Irgendwas.
Nur weiß ich halt jetzt nicht: wann, wie und was.
„Na also, Kopf und vor allem rote Nase hoch“, ruft es aus der Schublade, wieder etwas besser gelaunt. „Zur Not gründet ihr halt einen Verein: ‚Clowns ohne Chancen‘.“
Was für ein blöder Name, denke ich und muss lachen. Mir fällt der Spruch ein: „Humor ist die Kunst, sich selbst und die Umstände nicht allzu ernst zu nehmen.“ Finde ich auch.
Und gerade als ich den Text hier veröffentlichen will, kommt eine Zusage für eine Förderung von fünf Gastspielen. Schön.